Abluka – Jeder misstraut jedem

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Einen treffenden deutschen Untertitel erhielt „Abluka – Jeder misstraut Jedem“, der zweite Film des türkischen Regisseurs Emin Alper. In nicht allzu ferner Zukunft spielt die Geschichte, in einer Welt, die von Misstrauen und Verrat geprägt ist und Brüder sich gegenseitig ausspionieren, kurz gesagt einer Welt, die nicht mehr weit von der gegenwärtigen Türkei entfernt zu sein scheint.

Webseite: www.grandfilm.de

Türkei 2015
Regie & Buch: Emin Alper
Darsteller: Mehmet Özgür, Berkay Ates, Tülin Özen, Müfit Kayacan, Ozan Akbaba, Emrah Ozdemir
Länge: 119 Minuten
Verleih: grandfilm
Kinostart: 7. September 2017

FILMKRITIK:

Gut 20 Jahre hat Kadir (Mehmet Uzgur) im Gefängnis verbracht, als man ihm ein Angebot macht: Er wird freigelassen, muss sich dafür aber in den Dienst der Regierung stellen und die Augen aufhalten. Als Müllmann zieht Kadir fortan durch die Vororte Istanbuls und sucht in vielfältiger Hinsicht nach Schmutz: Nicht nur in Abfalleimern sucht er nach Hinweisen auf terroristische Umtriebe, verdächtiges Verhalten, auf jegliche Spuren von Rebellion gegen das System.

Penibel berichtet Kadir in zunehmende langen Berichten seinem Chef (Mufit Kayacan) von seinen Entdeckungen, die von zunehmender Paranoia geprägt sind. Gleichzeitig nähert er sich seinem jüngeren Bruder Ahmet (Berkey Ates) an, der selbst im Dienst des Staats steht: Er erschießt streunende Hunde, die die Straßen unsicher machen, hält sich im Geheimen jedoch selbst einen Hund. Seit langem haben sich die Brüder nicht gesehen, nun beäugen sie sich argwöhnisch, denn beiden ist bewusst, dass sie sich in dieser Welt selbst auf Blutsverwandte nicht verlassen können.

Mit zunehmender Fassungslosigkeit konnte man in den letzten Jahren beobachten, wie sich die Türkei, ein Staat, der noch vor wenigen Jahren auf dem Weg in die EU schien, in ein zunehmend autokratisch regiertes Land verwandelte, in dem Rechtsstaatlichkeit und demokratische Normen mehr und mehr außer Kraft gesetzt sind. Immerhin ist es noch nicht soweit, dass Filme wie Emin Alpers „Abluka – Jeder misstraut Jedem“ nicht gedreht werden können, auch wenn sie auf eigentlich unverhohlene Weise den Verfall der Gesellschaft schildern.

Vielleicht hilft es, dass „Abluka“ sich als dystopischer Film tarnt, in einer nicht näher bestimmten – wenngleich optisch von der Gegenwart kaum zu unterscheidenden – Zukunft spielt, ein immer wieder gern verwendetes Mittel, um in autokratischen Regimen unter der Hand regimekritische filme zu drehen. Wie zugespitzt „Abluka“ ist, wie nah oder fern von der Gegenwart der türkischen Gesellschaft kann man als Außenstehender nur ahnen, doch die Muster von Misstrauen und Verrat, die Alper hier schildert, sind in keiner Weise typisch für die Türkei, im Gegenteil.

Gerade dass „Abluka“ zwar unverkennbar in der Türkei spielt, aber doch allgemeingültige Strukturen aufzeigt, er gleichermaßen spezifisch und universell ist, macht ihn so beunruhigend. Als Deutscher fühlt man sich angesichts eines Geheimdienstsystems, das unbekannte Mengen an Spitzeln in alle Sphären der Gesellschaft einschleust, im Zweifelsfall lieber zu viel als zu wenig über jegliches Detail erfährt, natürlich an die Stasi erinnert, gerade auch an die zersetzenden Folgen des Spitzelwesens. So wie es dem Zuschauer angesichts der oft bewusst kryptischen Erzählweise oft schwer fällt genau zu wissen, welche Figur nun wen und warum bespitzelt, so fällt es den Figuren im Film zunehmend unmöglich zu wissen, wem sie vertrauen können und wem nicht. Die Folgen sind ständiges Misstrauen und ein kompletter Verlust der Leichtigkeit, die sich hier durch vom ersten Moment an düstere Bilder spiegelt. Ein bedrückendes Gefühl evoziert Emin Alper in seinem Film, ein Gefühl der Bedrohung und der Ohnmacht und mag damit nah an dem sein, was zumindest Regimekritiker- und gegner in der gegenwärtigen Türkei jeden Tag empfinden. Ein eindrucksvoller, konsequent harscher Film.
 
Michael Meyns