ACT! Wer bin ich?

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Als der Lehrerin Maike Plath klar wird, dass sie ihre Schüler über den Unterricht nicht erreicht, entwickelt sie mit ihnen Bühnenstücke und führt sie an die Kunstform „Theater“ heran. Mit Erfolg. Aber das Schulamt zwingt sie zum „Dienst nach Vorschrift“. Daraufhin gründet  Plath den Verein ACT, in dem sie ihre Konzepte bis heute weiterentwickelt. Rosa von Praunheims aufschlussreiche Doku „ACT!“ zeigt die Arbeit des Vereins und lässt die Beteiligten zu Wort kommen. Der Film offenbart, welches Potential in sogenannten „Problemkindern“ schlummert und wie man sie mit diesem „alternativen“ Bildungskonzept erreicht.

Webseite: www.missingfilms.de

Deutschland 2017
Regie: Rosa von Praunheim
Drehbuch: Rosa von Praunheim
Darsteller: Maike Plath, Christoph Frieß, Josef Attanjaoui, Aylin Rohn, Ali Brown, Walid Al-Atiyat
Länge: 87 Minuten
Verleih: Missing Films
Kinostart: 22. Juni 2017

FILMKRITIK:

Ein normaler Unterricht an der Neuköllner „Problemschule“, an der Maike Plath arbeitete, war nur schwer möglich. Deshalb konzipierte sie gemeinsam mit den Schülern Theaterstücke. Durch das Spielen kamen jene Fähigkeiten zum Vorschein, die sich in den jungen Menschen verbargen. Aber: die Behörden forderte Plath zum „Dienst nach Vorschrift“ auf.  Nach über 15 Jahren als Lehrerin quittierte die Theaterpädagogin daraufhin den Schuldienst. Danach begann sie, ihre Erlebnisse und Konzepte niederzuschreiben und zu veröffentlichen. Heute ist Plath im Vorstand des Vereins ACT, in dem sie wieder mit Jugendlichen arbeitet und ihre Ideen an andere Lehrer weitergibt.  

Rosa von Praunheim war 2015/16 viele Monate im Berliner Theater-Jugendclub „Heimathafen“ zu Gast, in dem die meisten der Theaterstücke des Vereins eingeübt und aufgeführt werden. Im Laufe der Jahre ist ACT gewachsen: 23 Künstler und Pädagogen in ganz Berlin arbeiten mittlerweile nach dem ACT-Ansatz. Zudem gibt Plath in ganz Deutschland Weiterbildungen für Pädagogen und Künstler.

Auf kluge, dramaturgisch sinnvolle Weise verbindet von Praunheim die einzelnen Elemente seiner aufschlussreichen, informativen Doku. Er setzt auf Interviews, Archivmaterial bzw. Privataufnahmen einiger Schüler und vor allem seine filmischen Beobachtungen der Theaterproben. Diese bilden den Schwerpunkt des Films. Dramaturgisch sinnvoll geht der Filmemacher deshalb vor, da er Plath zunächst einmal von ihren Vorstellungen und Konzepten berichten lässt. Sie brennt für das, was sie tut und sie geht ihrer Tätigkeit mit Leidenschaft nach. Das merkt man ihr an.

Ab und zu mag das von ihr Geäußerte, in erster Linie was den theaterpädagogischen Ansatz betrifft, etwas komplex klingen. Dann aber zeigt von Praunheim Bilder von den Proben in dem Jugendclub. Und wie die jungen Leute Plaths Theorie vom Theater als „wirkmächtigstem Bildungsmittel“ umsetzen. Dann wird einem augenscheinlich klar, was gemeint ist: Theater als Experimentierfeld, in dem jeder einzig- und verschiedenartig sein darf, es keine Noten oder Bewertungen gibt und vor allem Vielfalt gefragt ist. Unterschiedliche Religionen, Hautfarben und Biografien befördern den kreativen Prozess.

Die Szenen der Proben und Aufführungen sind die stärksten des Films, da sie hautnah und auf sehr anregende Weise zeigen, wie die Umsetzung des „ACT“-Prinzips in der Praxis aussieht. Plath nimmt sich Zeit für jeden Einzelnen und lässt die Jugendlichen aktiv am Entstehungsprozess mitwirken. Diese gehen in ihren neuen Rollen und abseits des verstaubten Klassenzimmers völlig aus sich heraus. Die Jugendlichen blühen regelrecht auf. Sie singen, rappen, tanzen, spielen und lassen ihren Emotionen freien Lauf. Wichtiger Teil eines Stücks ist dabei die persönliche Geschichte eines jeden Einzelnen, seine Biografie. Teile bzw. Elemente jeder Biografie fließen unmittelbar in die Stücke ein.

„ACT!“ zeigt zudem, dass dieses pädagogische Konzept auch wirklich etwas bringt. Denn im Film kommen auch einige von Plaths ehemaligen Schülern zu Wort. Schüler der Neuköllner „Problemschule“, in der die Pädagogin ihre Ideen einst erstmalig umsetzte. Aus ihnen sind selbstbewusste, reflektierende Mittzwanziger geworden, die Ziele im Leben haben und wissen, was sie wollen. Eine will demnächst studieren, ein anderer hat erfolgreich im Sport Fuß gefasst.

In einem privaten Video sieht man diesen Sportler als ca. fünfzehnjährigen Jugendlichen. Also noch vor dem Kontakt mit Plath und ihren Methoden. Er präsentiert sich als schimpfender, übel gelaunter Gangster, der Hasstiraden von sich gibt, den Stinkefinger in die Kamera hält und dem alles egal scheint. Aus derselben Person ist, zehn Jahre später, ein komplett anderer Mensch geworden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Maike Plath und ihre besondere Pädagogik, einen entscheidenden Anteil daran haben.

Björn Schneider