Armageddon Time

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In den frühen 80er Jahren in New York spielt „Armageddon Time“ zwar und doch erzählt James Grays Film mehr über die Gegenwart als über die Vergangenheit. Wie so oft verarbeitet der in New York geborene Regisseur eigene Erfahrungen, die diesmal vom beiläufigen Rassismus der amerikanischen Gesellschaft erzählen und den Anfängen der Trump-Ära.

Armageddon Time
USA 2022
Regie & Buch: James Gray
Darsteller: Banks Repeta, Jaylin Webb, Anthony Hopkins, Anne Hathaway, Jeremy Strong, Tovah Feldshuh, Jessica Chastain

Länge: 115 Minuten
Verleih: Universal
Kinostart: 17. November 2022

FILMKRITIK:

New York, 1980, später Sommer. Für Paul Graff (Banks Repeta) beginnt das sechste Schuljahr auf einer öffentlichen Schule in Queens. Einer seiner neuen Mitschüler ist der Schwarze Junge Jonathan (Jaylin Webb), der allein mit seiner bettlägrigen Großmutter lebt. Pauls Familie dagegen scheint der Inbegriff des heimeligen Familienlebens zu sein: Seine Mutter Esther (Anne Hathaway) bemüht sich, der Vater Irving (Jeremy Strong) ist zwar streng, hat aber nur das Beste für seinen Sohn im Sinn. Vor allem aber ist da noch der Großvater Aaron (Anthony Hopkins), der nicht nur Pauls Träume von einem Leben als Künstler ernst nimmt und fördert, sondern auch versucht, den Enkel zu Werten und Moral anzuhalten.

Doch wie soll man in einer Welt moralisch integer bleiben, in der es entgegen dem amerikanischen Mythos nicht darauf ankommt, sich zu bemühen und das beste aus seinen Talenten zu machen, sondern darauf, die richtigen Kontakte zu haben und auch schamlos genug zu sein, diese auszunutzen. „Die Karten sind gezinkt“ sagt Aaron einmal zu Paul, er selber musste das am eigenen Leib erfahren. Als jüdischer Einwanderer blieb ihm einst die Möglichkeit verwehrt, zu studieren. Inzwischen ist die Familie schon ein paar Schritte weiter, hat ihren Namen anglisiert, in ähnlichen Stufen der Assimilation, wie sie auch James Grays Familie einst durchlebte. Die Parallelen sind deutlich. Ähnlich wie die Familie Graff im Film, stammen die Grays (die ihren allzu jüdisch klingenden Namen einst von Grayevsky zum unverfänglicheren Gray kürzten) von ukrainischen Juden ab, die Anfang des 20. Jahrhunderts die Flucht vor antisemitischen Pogromen ergriffen und in die neue Welt emigrierten.

Und nun, zu Beginn der 80er Jahre, zu Beginn des Reagan-Jahrzehntes, dass mit seiner raubtierkapitalistischen, neo-liberalen Agenda nicht nur Amerika, sondern bald auch den Rest der westlichen Welt fundamental verändern sollte, sind sie als jüdische Amerikaner nicht mehr ganz unten in der Hackordnung.

Unter ihnen stehen nicht nur neuere Migranten, sondern auch die schwarze Bevölkerung, wie Paul bald schmerzhaft feststellt. Wenn er im Unterricht Blödsinn macht, bekommt Jonathan Ärger, wenn sein Großvater seine Beziehungen spielen lässt, wird er auf eine blütenweiße Prep-School verlegt, die seine Chancen im späteren Leben verbessert, während sein Freund Jonathan keine Chance hat, aus dem Elend zu entkommen.

Dass diese Schule der realen Kew-Manor School nachgeahmt ist, die einst auch Donald Trump besuchte ist ein kleiner Nebenaspekt, der aber doch mehr als deutlich von den 80er Jahren in die Gegenwart verweist. Schließlich verkörpert kaum ein zeitgenössischer Amerikaner so sehr die Folgen des Nepotismus wie Donald Trump, jenen in Wohlstand geborenen Immobilienhai, der zig mal pleite war, aber immer die richtigen, vor allem auch wohlhabenden Freunde hatte.

So sehr sich Amerika einbildet, ein weltoffenes Land zu sein, so viel sich im Laufe der Jahrzehnte auch geändert haben mag: Im Kern war und bleibt es ein Land, in dem es vor allem auf Beziehungen und die richtige Hautfarbe ankam. Dass diese Erkenntnis im Lauf von „Armageddon Time“ zwei elfjährigen Jungs kommt, macht James Grays Drama nur um so emotionaler.

 

Michael Meyns