Birds of Passage – Das grüne Gold der Wayuu

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Wie Macht und Gier die Menschen verändern, zeigen Cristina Gallego und Ciro Guerra in ihrem bildstarken Drogenwestern um einen kolumbianischen Familienclan, der mit Marihuana reich wird, ins Kokain-Geschäft einsteigt und eine Spirale der Gewalt entfesselt. Ähnlich wie in „Der Schamane und die Schlange“ (Regie: Ciro Guerra, Produktion: Cristina Gallego) wird in teils surrealen Bildern eine Geschichte über die indigene Bevölkerung Kolumbiens erzählt. Doch diesmal geht es nicht um das Zusammentreffen der Kulturen, sondern bereits um die Verlockungen des Kapitalismus - ein epischer Arthouse-Thriller über die Vorgeschichte des Medellin-Kartells.

Webseite: www.mfa-film.de

Originaltitel: Pájaros de Verano
Kolumbien/Dänemark/Mexiko 2018
Regie: Cristina Gallego, Ciro Guerra
Darsteller: Natalia Reyes, Carmiña Martínez, José Acosta, Jhon Narváez, José Vincentes Cotes
Kamera: David Gallego
Musik: Leonardo Heiblum
125 Minuten
Deutsche Fassung/OmU
Verleih: MFA+FilmDistribution
Kinostart: 20. Dezember 2018

FILMKRITIK:

„Die Patin“ könnte der Film ebenfalls heißen, denn die Leitfigur im Hintergrund, die Clanchefin, ist eine Frau, die Schamanin Úrsula. Sie gehört, ebenso wie die meisten Beteiligten, zu den Wayúu, eine der größten indigenen Gemeinschaften Kolumbiens, mit einer matriarchalen Struktur. Zum Ende der 60er Jahre leben sie, relativ unbeeinflusst von der westlichen Zivilisation, nach ihren tradierten Bräuchen. Úrsulas Familie ist mächtig. Rapayet hat nichts und ist niemand. Trotzdem will er Zaida, die schöne Tochter, heiraten und umwirbt sie in einem Tanzritual. Doch Úrsulas Forderungen für den Brautpreis sind hoch, deutlich zu hoch für Rapayet. Der Kontakt mit ein paar US-Hippies bringt ihn dazu, ins Marihuana-Geschäft einzusteigen. Vielleicht möchte er anfangs wirklich nur genug Geld aufbringen, um Zaida zu gewinnen. Dies gelingt ihm, auch wenn Úrsula ihm die Tochter nur widerwillig anvertraut. Ihre Abneigung gegen den Emporkömmling ist offenkundig. Aber Rapayet macht weiter, gemeinsam mit einem Freund baut er den Drogenhandel aus. Jahre später ist Rapayet auf dem Gipfel der Macht, doch Reichtum und Statussymbole genügen ihm nicht, er hat mitten in der Wüste eine Villa gebaut, in der Zaida und die Kinder wie in einem besonders luxuriösen Käfig leben. Rapayet wird immer gieriger, er legt sich mit anderen Drogenbossen an, und bald geht es nicht mehr um Geld und Macht, sondern ums Überleben. Die Stimmung im Clan ist gereizt und zunehmend geprägt von einer ungesunden Mixtur aus Arroganz und Fatalismus, alles noch dekoriert mit einem Hauch von Irrsinn. Es wird kommen, wie es kommen muss … die Vorzeichen häufen sich. Das blutige Ende lässt dann auch nicht mehr lange auf sich warten.
 
Der teils brutale, teils beinahe poetische Thriller über die Anfänge des kolumbianischen Drogenhandels spielt über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren und erzählt eine prinzipiell klassische Gangsterstory. Dabei mischen sich geschickt und manchmal überraschend ethnographische Aspekte und Thriller-Elemente sowohl in der geheimnisvollen, manchmal surrealen Bildsprache als auch in der starken Filmmusik. Die Bilder erscheinen bis ins Detail sorgsam durchkomponiert. Farbeffekte – viel Rot, schon bevor Blut fließt – unterstützen die mystische Stimmung. Mit Zwischentiteln wird die Geschichte zusätzlich strukturiert, eine Art Kapiteleinteilung, die nicht nur die einzelnen Zeitabschnitte gliedert, sondern den epischen Charakter verstärkt. Obwohl ziemlich schnell klar wird, dass hier kein Happy End zu erwarten ist, bleibt der Film spannend. Und dass, obwohl die Hauptfiguren des kriminellen Clans, vor allem Rapayet und Úrsula, kaum als Identifikationsfiguren geeignet sind. Diese Leute wollen nicht geliebt werden; sie sind weder heldenhaft noch bemitleidenswert noch irgendwie freundlich. Bestenfalls erscheinen sie würdevoll und unnahbar, was auch für Zaida gilt, die nur zu Beginn noch eine Art moralische Instanz darstellen könnte. Dass sie von schmutzigem Geld und auf Kosten von Drogensüchtigen lebt, ist weder für sie noch für die anderen ein Problem, nicht einmal ein Thema. Natalia Reyes spielt die Zaida, die Frau im goldenen Käfig, die das Schicksal vorhersehen kann und schon deshalb nicht besonders gut gelaunt wirkt. Carmiña Martínez als Úrsula zeigt viel Würde, und José Acosta als Rapayet verbindet gelungen Naivität, Skrupellosigkeit und Niedertracht. Insgesamt bietet das Team aus Laien- und Profidarstellern eine überzeugende Ensembleleistung.
 
Cristina Gallego und Ciro Guerra siedeln ihre Geschichte im wüstenartigen Norden Kolumbiens an. Die Landschaft spielt im Film eine wichtige Rolle, nicht nur als Heimat der Wayúu und damit als ihr ureigenes Terrain. Die Regisseure nutzen die Weite des Landes in einer Weise, die stark an Western erinnert. Das gilt für die Anordnung der Personen ebenso wie für Siedlungen und Gebäude. Wenn der Clan, vom Wind umweht, in Formation auf der Steppe wartet oder wenn Pferde über das Land galoppieren, werden die Bezüge noch offensichtlicher. Mitten in die Wüste setzt Rapayet seine Villa, die schon kilometerweit aus der Ferne erkennbar ist, eine Art Luxusbunker. Wo jetzt dieses Stein gewordene Symbol der Macht steht, das ganz eindeutig nicht hierher gehört, waren die Wayúu einmal zu Hause und mit ihnen ihre Rituale und Traditionen, die immer mehr verblassen, bis sie irgendwann verschwunden sind. An ihre Stelle treten die Macht- und Statussymbole der neuen kapitalistischen Ordnung: nicht nur die prächtige Villa, sondern auch große Autos und Maschinenpistolen. Was als kleiner Deal mit den Gringos begann, wächst zum kriminellen Imperium und wird damit zur Bedrohung für alle. Gier, Verrat und Wahnsinn beschleunigen den Niedergang der Familie. Und so, wie die Zugvögel, die „Birds of Passage“, über das Land ziehen, wird ihr Leben vergehen.
 
Gaby Sikorski