blaue Grenze, Die

D 2005
Regie: Till Franzen
Buch: Till Franzen
Kamera: Manuel Mack
Schnitt: Sebastian Schultz
Musik: Enis Rotthoff
Darsteller: Antoine Monet Jr., Dominique Horwitz, Beate Karoline Bille, Joost Siedhoff, Hanna Schygulla
110 Minuten, Format 1:1,25
Verleih: Filmwelt Verleihagentur
Kinostart: 24. November 2005

In seinem ersten langen Film versucht sich Till Franzen, Absolvent der Kunsthochschule für Medien in Köln, an einer bildgewaltigen, mystischen Geschichte über Liebe, Tod und Erinnerung. An der Grenze zwischen Deutschland und Dänemark angesiedelt erzählt er die parallel verlaufenden Geschichten zweier ungewöhnlicher Paare, in bisweilen übermäßig künstlerischen Bildern, mit hohem Stillwillen. Ein thematisch interessanter Debütfilm, der es trotz eines Auftritts von Hanny Schygulla schwer haben dürfte ein Publikum zu finden.

Zwei Paare stehen im Mittelpunkt des Films, die kaum etwas miteinander zu tun haben und nur zum Ende, auf quasi schicksalhafte Weise, verbunden werden. Da ist zum einen Momme (Antoine Monot jr.), dessen Vater gerade gestorben ist. Er sucht seinen der Familie entfremdeten Großvater (Joost Siedhoff) auf, um ihm von dem Verlust zu berichten. Doch wie schon einmal, als seine Frau gestorben war, versucht der Großvater der Trauer zu entkommen, indem er den Tod einfach ignoriert und sich einredet, der Sohn würde noch leben. Währenddessen lernt Momme die Dänin Lene (Beate Bille) kennen, die über die Meerzunge nach Deutschland gekommen ist. Am Morgen nimmt sie den Bus zurück nach Dänemark; die blaue Grenze trennt sie wieder, so wie sie in der Mythologie des Films alles trennt: Die beiden Länder, Lebende und Tote, und eben zwei Liebende.

Zur gleichen Zeit bezieht der kauzige Kommissar Poulsen (Dominique Horwitz) ein schmuckes Reihenhaus, voll gestellt mit kalten Designermöbeln, die die Einsamkeit dieser Figur noch betonen. Seine betont joviale Manier macht ihn zum Gespött der Kollegen, seine unbeholfenen Versuche Kontakt zu anderen Menschen zu finden sind bemitleidenswert. Nur seine Nachbarin Frau Marx (Hanna Schygulla) fühlt sich auf lange Zeit unerklärbare Weise zu Poulsen hingezogen. Dieser kann mit der plötzlich erfahrenen Zuneigung jedoch nichts anfangen und stürzt sich nur weiter in seine verzweifelten Versuche Anerkennung zu erhalten. Was er und die Zuschauer am Ende erfahren werden, wird sein Leben in völlig anderem Licht erscheinen lassen.

Das größte Problem des Films ist nun, dass man viel zu häufig merkt, mit welch hohem Kunstanspruch Till Franzen zu Werke gegangen ist. Jede Einstellung ist durchdacht und überaus symmetrisch komponiert, es gibt Überblendungen, die offensichtlich penibelst geplant waren, die Tonspur ist bin zum letzten Vogelgezwitscher ausgefeilt. Diese augenscheinlich präzise Vorbereitung des Films ist ja nun nicht per se ein Nachteil. Die Filmgeschichte ist wohl von Perfektionisten, die jedes einzelne Bild schon vor Drehbeginn im Kopf haben. Wenn aber dieser Kunstanspruch so augenfällig ist, wenn das Bemühen etwas Besonderes, Großes, Anderes zu machen, so deutlich zu Tage tritt wie hier, besteht die Gefahr das die Geschichte erschlagen wird, die Emotionen der Figuren hinter den Bildern verschwinden.

Das ist schade, denn was Franzen hier erzählen will ist im Kern eine faszinierende Geschichte. Die Symbolik, die er dabei verwendet ist zwar bisweilen ebenso aufgesetzt wie die dazugehörigen Bilder, der Kraft der Grundidee tut dies jedoch nur wenig Abbruch. Denn im Gegensatz zu so vielen Regisseuren, gibt sich Franzen nicht mit einer klaren, linearen Erzählstruktur zufrieden, sondern hält die Geschichte bis zuletzt im Ambivalenten. Was man aus den mythologischen Andeutungen letztlich macht, wie man die Figurenkonstellationen interpretiert, bleibt dem Zuschauer überlassen, klare Antworten gibt der Film nicht. Schade nur, dass diese souveräne Haltung noch nicht durch einen ähnlich souveränen Umgang mit den Bildern untermauert wird. Dennoch bleibt Die blaue Grenze der Film eines jungen Regisseurs, den man im Auge behalten sollte.

Michael Meyns

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Der karge Landstrich zwischen Deutschland und Dänemark bildet in Till Franzens Kinodebüt die Basis für einen poetischen Liebesfilm, der die Grenzen von Diesseits und Jenseits sinnlich verwischt. Neben Dominique Horwitz und Antoine Monot, Jr. feiert Hanna Schygulla darin ein grandioses Comeback.

Als sein Vater plötzlich und unerwartet stirbt, fährt der 20-jährige Momme Bief (Antoine Monot, Jr.) nach Flensburg, um seinen Großvater von diesem Schicksalsschlag zu unterrichten. Doch der alte Bief (Joost Siedhoff) hat immer noch genug am Tod der eigenen Ehefrau zu knabbern. Und so flieht er lieber nach Dänemark zum Angeln, anstatt seine Trauer zu verarbeiten. Zur gleichen Zeit wird Polizist Poulsen (Dominique Horwitz) nach Flensburg versetzt. Er hadert daran, dass ihm ein wichtiger Fall entzogen wurde. Also ermittelt er ohne die Unterstützung seiner undankbaren Kollegen auf eigene Faust weiter. Dabei wird er von seiner Nachbarin Frau Marx (Hanna Schygulla) beobachtet, die sich auf unerklärliche Weise zu dem Halbdänen hingezogen fühlt.

„Das Leben wiederholt sich. Wiederholt sich. Wiederholt sich.” So heißt es im Untertitel zu Till Franzens melancholischem Kinodebüt. Dabei ist das Stichwort „Leben” eigentlich fehl am Platz. „Die blaue Grenze” beschäftigt sich vielmehr auf poetische Weise mit dem Übergang von Leben und Tod. In zwei parallelen Geschichten werden die Grenzen zum Jenseits sinnlich verwischt. Was auf Erden nicht mehr geklärt werden konnte, etwa das schwierige Verhältnis der drei männlichen Bief-Generationen, wird hier aus dem Jenseits in die richtigen Bahnen gelenkt. So führt Mommes toter Vater seinen wortkargen und phlegmatischen Sohn direkt in die Arme einer liebevollen Dänin. Doch schon bald werden ihre Wege wieder getrennt. Und auch das Schicksal von Polizist Poulsen wird durch überirdische Mächte neu bestimmt.

Franzen erzählt diese beiden Lebens- und Liebesgeschichten mit lakonischem Humor und reservierter Zurückhaltung. Tragische, groteske und traurige Momente wechseln sich ab. Der Regisseur lässt die trockene norddeutsche Mund- und Lebensart dabei zu einer festen Säule seines Dramas werden. Mit intensiven und eindringlichen Klängen unterstreicht die Musik von Kurt Wagner und der Gruppe Lambchop die larmoyante Grundstimmung.
Daneben darf sich der Zuschauer auf ein erfreuliches Wiedersehen mit der großen Hanna Schygulla freuen, die mit Dominique Horwitz nach zwanzigjähriger Leinwandabstinenz ein ungleiches und doch mystische miteinander verbundenes Paar bildet.

Dem gegenüber spielt Antoine Monot, Jr. den trauernden Momme mit einer schier unermesslichen, geistigen Bewegungslosigkeit. Er verursacht im Zuschauer dadurch eine Mischung aus Mitgefühl und kribbelnder Ungeduld. Man wünscht, dass er den Verlust seines Vaters emotional verarbeiten kann und man hofft, dass sich wenigstens die neu gewonnene Liebe konservieren lässt.

Gemeinsam entfachen die drei Hauptdarsteller in diesem stilistisch und atmosphärisch großartig inszenierten Werk eine sinnliche Magie, wie sie auf diese Weise nur im Kino entstehen kann. Trotz der dominanten norddeutschen Lebensart, wurde der Film auch auf seiner Premiere im Rahmen des Festivals des deutschen Films im süddeutschen Ludwigshafen mit großer Begeisterung aufgenommen. Als logische Konsequenz wurde „Die blaue Grenze” mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Alle Freunde anspruchsvoller und dabei so leiser wie poetischer Dramen werden dieses Lob mit einem dicken Ausrufezeichen unterstreichen können.

Oliver Zimmermann