Boston

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Der Terroranschlag auf den Boston Marathon 2013 löste weltweit Entsetzen aus. Als der erste von zwei geplanten Hollywood-Produktionen beleuchtet „Boston“ die Chronologie der Ereignisse vor allem aus der Perspektive der Ermittler. Beginnend mit dem Vorabend des Marathons über den Tag des Anschlags bis zur anschließenden Fahndung nach den Tätern schildert Regisseur Peter Berg („Deepwater Horizon“, „Lone Survivor“) das Geschehen mit den Mitteln des Action-Kinos. Dabei beweisen er und sein Hauptdarsteller Mark Wahlberg einmal mehr sehr viel Fingerspitzengefühl und Übersicht. Dass die Gefahr durch den islamistischen Terror seit Boston eher noch zugenommen hat, ist eine bittere Wahrheit, die den Film leider hochaktuell macht.

Webseite: www.studiocanal.de

OT: Patriots Day
USA 2016
Regie: Peter Berg
Darsteller: Mark Wahlberg, John Goodman, Kevin Bacon, Michelle Monaghan, J.K. Simmons, Alex Wolff, Themo Melikidze
Laufzeit: 133 Minuten
Verleih: Studiocanal
Kinostart 23.2.2017

FILMKRITIK:

Der Boston Marathon ist eine Institution, ein Magnet für Läufer aus aller Welt und einer der Sporthöhepunkte des Jahres für Massachusetts. 2013 legte sich jedoch ein dunkler Schatten über den ältesten Marathon der USA. Nachdem die Top-Athleten schon lange die Ziellinie überquert hatten, detonierten dort kurz nacheinander zwei Bomben. Die Bilanz des heimtückischen Anschlags: 3 Tote und über 260 Verletzte. Auf den ersten Schock, auf Chaos und Entsetzen folgte eine beispiellose Fahndung nach zwei jungen Männern, die bereits kurz nach den Explosionen mittels Videoaufnahmen als Verdächtige identifiziert wurden.
 
Regisseur Peter Berg, geschult in der Aufarbeitung realer Ereignisse und Katastrophen („Lone Survivor“, „Deepwater Horizon“), wagte sich an eine für viele Amerikaner bis heute offene Wunde. Der recht kurze zeitliche Abstand und das derzeit aufgeheizte politische Klima erforderten hierbei sehr viel Fingerspitzengefühl. Immerhin galt es, Muslime nicht unter Generalverdacht zu stellen oder Ressentiments zu schüren. Berg und sein Team lösten diese Schwierigkeiten am Ende aber souverän und mit großem Respekt sowohl vor den Opfern als auch vor den mit der Klärung des Anschlags beauftragten Ermittlern. Sogar die als rasch als Täter identifizierten Zarnajew-Brüder portraitiert der Film nicht als eiskalte Monster. So wird der inzwischen zum Tode verurteilte Dschochar Zarnajew auf seiner Flucht vielmehr zu einem ängstlichen Gejagten, was der islamistischen Propaganda ebenfalls nicht gefallen dürfte.
 
Die unter dem Druck von Öffentlichkeit und Politik forcierte Fahndung brachte selbst die erfahrenen Ermittler an ihre Grenzen. Das zeigt „Boston“ durchaus eindrucksvoll und erstaunlich frei von Heldenverehrung oder falschem Pathos. Im Mittelpunkt der filmischen Rekonstruktion stehen neben sorgsam recherchierten Einzelschicksalen vor allem die Arbeit der Bostoner Polizei und des FBI, das die Namen der beiden Tatverdächtigen anfangs noch nicht an die Medien weitergeben will. Special Agent Richard DesLauries (Kevin Bacon) möchte erst alle Zweifel ausräumen, was beim zuvor entmachteten Bostoner Polizeichef Ed Davies (John Goodman) auf Unverständnis stößt. Schließlich wird der zum Zeitpunkt des Anschlags im Zielbereich eingeteilte Sergeant Tommy Saunders (Mark Wahlberg) zu einer Schlüsselfigur und einem wichtigen Zeugen.
 
Für Wahlberg ist es bereits die dritte Zusammenarbeit mit Regisseur Peter Berg. Beide sind somit längst ein eingespieltes Team, wovon „Boston“ erkennbar profitiert. So ist sich Wahlberg nicht zu schade, die übliche Führungsrolle abzugeben und sich stattdessen in ein starkes Schauspielensemble einzureihen. Auch erfüllt sein Sergeant nur bedingt das Profil eines strahlenden Hollywood-Helden. Er ist körperlich angeschlagen, dem Alkohol nicht abgeneigt und gelegentlich ein sturer Besserwisser. Bei anderen Figuren wie Bostons Polizeichef Ed Davies oder dem von Kevin Bacon grandios verkörperten FBI-Special Agent sind Anspannung und Stress körperlich spürbar. Eine weitere Stärke des Films ist die gelungene Übersetzung des erlebten Kontrollverlusts in einprägsame, mitunter gar verstörende Bilder.
 
Berg weiß ohnehin nur zu gut, dass er hier keinen üblichen Thriller inszeniert. „Boston“ betrachtet vielmehr eine Stadt im Ausnahmezustand und das mit den Mitteln des Action-Kinos, die effektiv und gezielt eingesetzt, ihre maximale Wirkung entfalten. Parallelen zu Peter Greengrass’ „Flug 93“ sind erkennbar, wenngleich Berg weniger dokumentarisch als eher filmisch vorgeht ohne dabei die gesicherten Fakten und Abläufe aus den Augen zu verlieren. Am Ende sendet sein Film zudem ein sichtbares Zeichen der Hoffnung, wenn die Stadt und ihre Bewohner aus der erlebten Solidarität neuen Mut schöpfen. „Boston Strong“, diese zwei kleinen Worte, gelten seit den Anschlägen im ganzen Land als Inbegriff von Entschlossenheit, Stärke und einem unerschütterlichen Glauben an das Gute.
 
Marcus Wessel