Bungalow

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Ein junger Bundeswehr-Deserteur, sein Bruder und dessen neue dänische Flamme verbringen gemeinsam einige Wochen im elterlichen Bungalow irgendwo in der hessischen Einöde. Man genießt die Zeit im Pool, lässt das Modellflugzeug fliegen oder sich die Sonne auf den Bauch scheinen. Oberflächlich betrachtet passiert in Ulrich Köhlers Coming-of-Age-Drama „Bungalow“ nicht allzu viel. Doch in den lethargischen, von Lustlosigkeit geprägten Handlungen der Charaktere manifestiert sich die qualvolle Suche nach dem Sinn im Leben, nach Zweisamkeit, Bestätigung und Liebe.

Webseite: www.dejavu-film.de

Deutschland 2002
Regie: Ulrich Köhler
Drehbuch: Ulrich Köhler, Henrike Goetz
Darsteller: Lennie Burmeister, Trine Dyrholm, Devid Striesow, Nicole Gläser
Länge: 84 Minuten
Kinostart: 02.05.2019
Verleih: déjà-vu Film

FILMKRITIK:

Auf dem Rückweg vom Manöver zur Kaserne bleibt der Rekrut Paul (Lennie Burmeister) unbemerkt von den Kollegen an einer Raststätte zurück. Während die Kompanie abfährt, macht er sich auf den Weg in den Bungalow der Eltern. Diese sind nicht anwesend, also kann Paul seinen „Heimaturlaub“ genießen – bis sein älterer Bruder Max (Devid Striesow) mit seiner neuen dänischen Freundin Lene (Trine Dyrholm) auftaucht. Es dauert nicht lange und alte Rollenmuster aus der Kindheit und Jugend setzen ein. Max fühlt sich für Paul verantwortlich und versucht, ihn zur Rückkehr zu seiner Kompanie zu bewegen. Die Stimmung zwischen den Brüdern wird zunehmend gereizter. Und noch durch die Tatsache verstärkt, dass Paul allmählich Interesse an Lene entwickelt.

Der aus dem Jahr 2002 stammende „Bungalow“ ist das Spielfilmdebüt des Marburger Regisseurs Ulrich Köhler. Köhler drehte bis heute nur drei weitere, allerdings von der Kritik hochgelobte Filme. Darunter das Drama „Schlafkrankheit“, für das Köhler auf der Berlinale 2011 mit dem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichnet wurde. Auch „Bungalow“ wurde auf der Berlinale gezeigt. Die Produktion feierte im Rahmen der Sektion „Panorama“ ihre Weltpremiere.

„Bungalow“ ist ein Film, bei dem ein genauer Blick lohnt. Es geht um ein exaktes Beobachten der schüchternen Gesten und versteckten Blicke, denn unter der scheinbar harmlosen Oberfläche verbergen sich unterdrückte Gefühle und Wut. Seinen Blick richtet Regisseur Köhler dabei vornehmlich auf die konfuse Emotionswelt der interessanten aber auch wenig sympathischen Hauptfigur Paul. Der damalige Schauspielneuling Burmeister spielt diesen äußerst überzeugend, da er seiner Figur durch das reduzierte Spiel etwas zutiefst Ambivalentes, fast Geheimnisvolles, einverleibt. Paul wirkt teilnahmslos und an seinem Umfeld desinteressiert. Doch ab und zu wird seine Trägheit durch Anflüge von Aggression unterbrochen. Beispielhaft steht dafür eine Szene mit einem Freund von Max, den Paul – grundlos – körperlich angreift. Ohne Anlass, einfach aus Langeweile.

„Bungalow“ ist in seiner Gesamtheit durch und durch minimalistisch. Auf Filmmusik verzichtet Köhler völlig, der Inhalt ist überschaubar und die Handlung spielt sich nahezu ausschließlich im oder vor dem Bungalow der Eltern ab. Beim Zusehen ist gelegentlich Geduld gefragt, denn es passiert: fast nichts. Viel Zeit verbringen die Protagonisten im Freien. Sie schwimmen, leben in den Tag hinein oder liegen in der Sonne. In vielen Momenten erinnert „Bungalow“ an „Swimming Pool“ mit Alain Delon und Romy Schneider. Auch in diesem schwülen (Erotik-) Drama von 1969 ergehen sich die Figuren im Nichtstun. Der Klassiker lebt letztlich von der erotischen Stimmung zwischen den Figuren.

Knisternde Spannung kommt ebenso zwischen Paul und Lene auf. Allerdings nur so lange, bis Paul mit seinem Hang zu unbedachten Äußerungen und Provokationen alles zerstört. Beispielhaft steht die fragile Beziehung zwischen ihm und der freizügigen, gefallsüchtigen Dänin für einige der grundlegenden zwischenmenschlichen Emotionen sowie klassische Konflikt- bzw. Spannungsfelder: Es geht um Eifersucht, Lust, Begierde und Besitzansprüche.

Björn Schneider