Campo

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Auf einer Militärbasis östlich von Lissabon entstand „Campo“, ein essayistischer Dokumentarfilm von Tiago Hespanha, der sich einfachen Kategorisierungen entzieht. Zwischen der Härte der militärischen Grundausbildung und der flüchtigen Beobachtung der Wunder der Natur bewegen sich die Beobachtungen unterlegt von einem nachdenklichen, philosophischen Kommentar.

Webseite: wolfberlin.org

Dokumentation
Portugal 2018
Regie: Tiago Hespanha
Länge: 100 Minuten
Verleih: Steppenwolf
Kinostart: 28. November 2019

FILMKRITIK:

Die Militärbasis Alcochete, auf portugiesisch Campo de Tiro de Alcochete liegt nur wenige Kilometer östlich der Hauptstadt Lissabon und ist mit ihren 7539 Hektar Fläche eine der größten militärischen Übungsplätze Europas. Gleichzeitig ist das von dichten Wäldern geprägte Gebiet Rückzugsort für eine erstaunliche Vielfalt an Tieren. Während Soldaten in der Ausbildung den Krieg üben, des Nachts in Tarnkleidung durch den Wald robben, sich Verstecken und das Verhalten im Kampf trainieren, bietet die von Landwirtschaft unberührte Natur Wildtieren, aber auch Bienen Entfaltungsmöglichkeiten, wie sie in den europäischen Kulturlandschaften nicht mehr allzu häufig zu finden sind.
 
Aus diesem (scheinbaren) Widerspruch speist sich Tiago Hespanhas essayistischer Dokumentarfilm „Campo“, der sich in loser, beobachtender Weise seinem Sujet nähert. Schon der Titel deutet dabei die Gegensätze an, die sowohl auf der Bild- als auch auf der Tonebene immer wieder betont werden. Das aus dem Lateinischen stammenden Wort Campo bezeichnet sowohl einen Trainingsplatz für Rekruten, als auch einen Ort, an dem Tiere heranwachsen.
 
Mensch und Natur, Zerstörung und Kreation, Kulturlandschaften und unberührte Natur treffen an diesem Ort also in beispielhafter Weise aufeinander, durchmischen sich auch: Manche Soldaten, die in Baracken unweit des Trainingsgeländes leben, betreiben in ihrer Freizeit Bienenzucht, andere beobachten den reichhaltigen Bestand an Vögeln, wieder andere nutzen die klaren Nächte, um den Sternenhimmel zu beobachten.
 
Unterschiedlichste Menschen lässt Hespanha zu Wort kommen, stellt Momente nebeneinander, die mal mehr, mal weniger ein Ganzes ergeben. Manches mal verlässt sich Hespanha allzu sehr darauf, das sich aus den bewussten Kontrasten etwas Neues ergibt, dass das bloße Gegenüberstellen zu Erkenntnisgewinn führt.
 
Die bewusste Entscheidung, die Bilder unkommentiert zu lassen, den Zuschauer dazu zu zwingen, eigene Schlüsse zu ziehen, wird durch die Kommentarspur noch verstärkt. Frei assoziierend reiht Hespanha hier Gedanken und Überlegungen aneinander, spricht von antiken Mythen und zeitgenössischer Philosophie und bietet dem Zuschauer bzw. Zuhörer eine weitere Bedeutungsebene an. Die kann man annehmen oder sich einfach den Bildern hingeben, die nicht betont in der Schönheit des Ortes verharren, sondern im Gegenteil oft die Härte der militärischen Ausbildung, aber auch der Natur zeigen.
 
Einfach macht es Hespanha sich und dem Zuschauer mit seiner Herangehensweise nicht, doch als immersiver Versuch, sich einer ungewöhnlichen Landschaft intellektuell zu nähern ist „Campo“ ein sehenswertes Experiment.
 
Michael Meyns