Dancing Pina

Zum Vergrößern klicken

Der faszinierende Dokumentarfilm zeigt in zwei sehr unterschiedlichen Szenarien die aktuelle Arbeit am künstlerischen Erbe der bekanntesten und bedeutendsten Choreographin ihrer Zeit: Pina Bausch. Florian Heinzen-Ziob („Klasse Deutsch“) begleitet die Arbeit an der Wiederaufführung zweier Werke von Pina Bausch – einmal ganz klassisch an der Dresdener Semperoper und einmal im Senegal mit einem Ensemble, dessen Mitglieder vom Streetdance und vom traditionellen afrikanischen Tanz kommen. Aus dieser Grundsituation komponiert Heinzen-Ziob einen stimmungsvollen und hoch dynamischen Film über das Tanzen, über künstlerische Arbeitsprozesse und über die Menschen, die ihr Leben dem Tanz gewidmet haben. Zwei Welten, im Tanz vereint – ein begeisterndes Kinoerlebnis!

Webseite: mindjazz-pictures.de

Deutschland 2022
Regie, Drehbuch und Montage: Florian Heinzen-Ziob
Kamera: Enno Endlicher

Länge: 111 Minuten
Verleih: Mindjazz Pictures
Kinostart: 15. September 2022

FILMKRITIK:

Als Pina Bausch, die weltbekannte Tänzerin, Choreographin und nebenbei Erfinderin des Begriffs „Tanztheater“, im Jahr 2009 starb, hinterließ sie 55 Choreographien, die sie von den 70er Jahren bis zu ihrem frühen Tod entwickelte. Dazu gehört ihre frühe Bearbeitung der Oper „Iphigenie auf Tauris“ nach Christoph Willibald Gluck und ihre Interpretation von „Le sacre du printemps“ von Igor Strawinsky. Diese beiden Projekte der Pina-Bausch-Foundation stehen im Jahr 2019 auf dem Probenplan zweier gegensätzlicher Institutionen auf zwei verschiedenen Kontinenten: einmal in der Semperoper in Dresden und einmal in der École des Sables in der Nähe von Dakar/Senegal. Plüsch und Pomp gegen eine offene Bretterbühne, ein Sandstrand am Meer gegen die Skyline von Dresden. Zwei Frühwerke von Pina Bausch mit einer sehr unterschiedlichen Besetzung stehen auf dem Programm – die kraftvollen afrikanischen Tänzerinnen und Tänzer und die ätherischen, elfengleichen Ballerinen und Solisten mit ihrer klassischen Ausbildung scheinen auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun zu haben. Doch der Eindruck täuscht: Was sie verbindet, ist nicht nur die Liebe zum Tanz und zur Musik, sondern es sind auch die Choreographinnen und Choreographen, die früher zum Team von Pina Bausch gehörten und nun ihr tänzerisches Erbe inszenatorisch weitergeben. Einig sind sie sich alle in der Hochachtung vor Pina Bausch, die das Tanztheater revolutionierte. Bei ihr ging es um das Zusammenspiel von Handlung, Inhalt und Charakteren über die gefühlte Bewegung. Eine Herausforderung für alle. Die klassische Primaballerina Sangeun Lee, 1. Solotänzerin der Semperoper, fasst es zusammen: „… als würde ich zum ersten Mal tanzen, als würde ich laufen lernen.“ Dabei geht es nicht um die bestmögliche Kopie der Pina-Bausch-Choreographien, sondern mehr darum, ihr Erbe lebendig zu halten und den Zauber des Tanzes wenigstens für den Augenblick einzufangen.

Florian Heinzen-Ziob begleitet beide Ensembles bei der Probenarbeit. Seine Rolle ist dabei die eines unauffälligen Beobachters. Ganz anders als bei Wim Wenders („Pina“, 2011) geht es bei ihm um die Darstellung zweier parallel verlaufender und sich manchmal kreuzender Entwicklungsprozesse. Er setzt ihr kein Denkmal (wie Wim Wenders), sondern er zeigt, wie ihre Teammitglieder die gemeinsame Arbeit weiterführen und mit neuem Leben erfüllen. Eingestreut sind kurze Interviewsituationen mit Beteiligten, die von sich selbst und von Pina Bausch erzählen. Einer der großen Reize des Films liegt in der Gegenüberstellung der beiden Tanztruppen, zu denen die jeweilige Musik perfekt zu passen scheint. Das klassische Corps de Ballet in Dresden möchte schnell die Schritte lernen, so wie sie es von anderen Choreographien kennen, aber sie merken bald, dass es im Zusammenspiel von Musik, Kulisse und Bewegung wenig um die Technik geht, sondern – ganz im Sinne von Pina Bausch – um einen anderen Ansatz: ums Lockerlassen, um Leichtigkeit, um den natürlichen Ausdruck, nicht um Perfektion. Weniger Kontrolle und mehr Authentizität sind gefragt. Im afrikanischen Ensemble ist von Anfang an mehr Lockerheit, hier geht es umgekehrt mehr um klassisch tänzerisches Handwerk. Wie sich die beiden Ensembles immer mehr annähern, wie sie immer mehr begreifen, mit welchen Intentionen Pina Bausch gearbeitet hat, das ist extrem reizvoll anzusehen. Dabei ist es erstaunlich, wie sensibel und effizient die ehemaligen Mitglieder der Pina-Bausch-Truppe ans Werk gehen. Sie bleiben immer down to earth, da ist keine verschwurbelte Ideologie oder irgendein esoterisch theatraler Ansatz im Sinne einer weihevollen Huldigung der großen Verstorbenen – stattdessen steht die Bewegung im Mittelpunkt. Sie muss echt sein und etwas aussagen. Das hört sich einfach an ... ist aber offensichtlich sehr schwer umzusetzen. Eine flüchtige Kunstform wie der Tanz lässt sich nicht festhalten, nicht einmal in Videobildern, die sich die Tänzerinnen und Tänzer ständig auf ihren Handys ansehen. Aber der Tanz lässt sich erfühlen, von den Füßen am Boden, die scheinbar von selbst die Erde verlassen, von den Armen in der Luft, die sich in Trauer und Lust heben und senken, vom Atem gehalten und losgelassen. Die Konzepte von Pina Bausch, wieder zum Leben erwacht durch ihre Epigonen, machen etwas mit den Tanzenden. Sie interpretieren die Musik über die Bewegung und dabei erfahren sie etwas über sich selbst. Das kann Kunst.

Gaby Sikorski