Deerskin

Kürzlich trug Jean Dujardin in Roman Polanskis „Intrige“ noch die Uniform eines Offiziers, nun ist er in eine Wildlederjackenrarität mit Fransen geschlüpft. Er gefällt sich darin so gut, dass er beschließt, fortan der einzige Mensch auf Erden zu sein, der überhaupt eine Jacke trägt. Sein wahnhaftes Ansinnen ist Motor von Quentin Dupieux schwarzhumoriger Groteske, in der es am Rande auch ums Filmemachen geht.

Website: www.kochmedia-film.de

Originaltitel: Le Daim
Frankreich 2019
Regie: Quentin Dupieux
Darsteller: Jean Dujardin, Adèle Haenel, Albert Delpy, Pierre Gommé, Laurent Nicolas, Coralie Russier, Marie Bunel
Länge: 77 Minuten
Verleih: Koch Films GmbH
Kinostart: 30.4.2020

FILMKRITIK:

Drei junge Menschen geloben zu Beginn dieser skurril-schrägen Komödie mit heiligem Ernst, ihre ausgezogene Jacke, die nun in den Kofferraum eines Autos gelegt wird, nie mehr zu tragen. Eine Szene später spült der Fahrer dieses Wagens seinen eigenen Blouson in der Toilette einer Raststätte hinunter. Na ja, er versucht es, denn bald schon steht der Raum unter Wasser. Kurz darauf ist der Mann stolzer Besitzer einer per Kleinanzeige entdeckten Hirschlederjacke – und bekommt beim Kauf noch eine Digitalkamera als Dreingabe spendiert. Fortan hält er sich für einen Filmemacher – und filmt, wie er Leuten auf der Straße ihre Kittel reihenweise und mit der Zeit auf immer brachialere Weise abnimmt. Denn das ist das treibt den sich immer wieder selbstverliebt in Spiegeln und Fensterglasscheiben betrachtenden Mannes: er will der einzige Träger einer Jacke sein. Und damit erwacht dann auch sein Jagdinstinkt.

In einer Provinzbar lernt er Denise (Adèle Haenel), kennen, die sich rühmt, „Pulp Fiction“ in chronologisch korrekter Weise geschnitten zu haben. Sie wird seine Cutterin, und hat offenbar ausreichend Phantasie, um sich die eigenartigen Dokumentationen der Jackenschwüre als Teil eines großen Szenarios, für das es noch kein Drehbuch gibt, vorzustellen.

Quentin Dupieux hingegen weiß sehr wohl, wo’s langgehen soll. Erst vergangenes Jahr hatte der als Autodidakt zum Film gekommene Regisseur Quentin Dupieux mit „Die Wache“ eine surreale Komödie über ein absurdes Verhör abgeliefert, in dem die Genreregeln lustig gegen den Strich gebürstet wurden. Das Verrückte an „Deerskin“ ist, dass Dupieux nichts oder nur wenig über seinen Protagonisten preisgibt und dessen wahnhaftes Auftreten angsteinflößend und bisweilen unheimlich wirkt. Man spürt: da gibt sich einer einem Verlangen hin, dass rational nicht zu erklären ist. Hat er ein Problem mit Menschen? Oder vielleicht doch nur mit Jacken? Mit seiner jedenfalls unterhält er sich.

Ein Telefonat und eine gesperrte Bankkarte müssen reichen, um deutlich zu machen, dass im Leben des guten Mannes, gespielt von Jean Dujardin, gerade etwas schief gelaufen ist. Tatsächlich hatte Dupieux auch Szenen gedreht, die als Vorgeschichte hätten dienen können. Er empfand jedoch, dass genau dieses Wissen dazu geführt hätte, das verrückte, unkalkulierbare Verhalten und die Besessenheit seines Jackenfreaks dadurch für langweilig zu erachten. Ähnlich verhält es sich im Grunde später auch mit Adèle Haenel in der Rolle der unverhofft engagierten Cutterin und später gar selbsternannten Produzentin. Angefixt von der Möglichkeit, in ihrem Brotberuf endlich wieder kreativ werden zu können, scheint sie betriebsblind zu werden und nicht sehen zu wollen, welchem Wahnsinn sie die Hand reicht. Es sei denn, sie ist selbst eine Wahnsinnige.

Besonders an „Deerskin“ und überhaupt an den Filmen von Quentin Dupieux ist, dass ihn das Spiel mit dem Unerwarteten und dem Aufgeben von Rätseln reizt. Bei ihm reden die Figuren gerne aneinander vorbei. Eine Liebesgeschichte, wie sie andere Regisseure und Drehbuchautoren vielleicht entstehen hätten lassen, interessiert ihn nicht, auch braucht sein Protagonist keine charakterliche Wandlung hin zum Guten. Und doch passiert am Ende etwas, mit dem so nun absolut nicht zu rechnen war. Manche mögen das als sinnfrei erachten. Wer hingegen Spaß an einer schrägen und eigensinnigen Geschichte hat, darf sich auch über ein bisschen Selbstreflexion auf das Filmemachen freuen.

Thomas Volkmann