Die Rossellinis

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Große Künstler sind nicht unbedingt auch angenehme Menschen, soviel ist inzwischen klar. Einen legendären Großvater wie Roberto Rossellini als Großvater zu haben, kann da schon mal als Bürde empfunden werden, so zumindest dachte dessen Enkel Alessandro, der sein Leid im Dokumentarfilm „The Rossellinis“ verarbeitet, der für ihn als eine Art Psychotherapie diente.

The Rossellinis
Italien/Lettland 2020
Regie: Alessandro Rossellini & Lorenzo d’Amico de Carvalho
Buch: Andrea Paolo Massara, Alessandro Rossellini, Davis Simanis Jr.
Dokumentarfilm

Länge: 100 Minuten
Verleih: Tricorder Universe
Kinostart: 30. Januar 2025

Im Juni 1977 waren zuletzt die meisten der Rossellinis versammelt, nicht wirklich zusammen, aber doch mehr oder weniger an einem Ort: Im Trauerzug für Roberto Rossellini, den großen italienischen Regisseur, Ikone des Kinos, Wegbereiter der Nouvelle Vague.

Drei Ehefrauen und zahlreiche Geliebte hatte er, zeugte sechs leibliche Kinder und adoptierte zusätzlich einen Sohn, er folgte also, wie es Alessandro Rossellini an einer Stelle treffen sagt, keiner bürgerlichen und schon gar nicht einer religiös geprägten Moralvorstellung.

Eine veritable Seifenoper war das Leben von Roberto Rossellini, der mit seiner Beziehung zu der noch verheirateten Ingrid Bergman einen Skandal auslöste, der Ingrid für einige Jahre die Hollywood-Karriere kostete, mit „Stromboli“ und „Reise in Italien“ zwei große Klassiker des Kinos hervorbrachte und nicht zuletzt auch Isabella Rossellini, die erfolgreichste und berühmteste der Nachkommen Robertos.

Seine berühmte Tante trifft Alessandro auf ihrem Landgut in Amerika, wo Isabella ein beschauliches Leben führt, an originellen Kurzfilmen arbeitet, bisweilen in Filmen wie dem gerade im Kino zu sehenden „Konklave“ auftritt und augenscheinlich so gar kein Problem mit ihrer Vergangenheit und dem Vermächtnis ihres legendären Vaters hat.

Ist vielleicht Alessandro der einzige der weitverzweigten Familie, deren Spuren er in Schweden und Indien findet, der an „Rossellinitis“ leidet? So nennt er – mit einer gewissen Ironie, aber auch nicht wenig Selbstmitleid – sein Leiden. „Das Gefühl der Unzulänglichkeit, das sich einstellt, wenn man das Kind berühmter und geliebter Menschen ist, insbesondere

eines Vaters, der es geschafft hat, gleichzeitig brillant, besitzergreifend und abwesend zu sein.“ So formuliert es sein Produzent, der ehrlicherweise hinzufügt, das Alessandro Rosselini diesen Film auch deswegen gedreht hat, um endlich auch einmal von seinem berühmten Namen  zu profitieren.

Angereichert mit interessantem Archivmaterial zeichnet Alessandro die Wege seiner Familie nach, wobei jedoch weniger die Filme des berühmten Roberto im Mittelpunkt stehen, als die amourösen Verwicklungen. Auch er selbst habe eine Vorliebe für polyamouröse Beziehungsmuster entwickelt, berichtet Alessandro, ob er allerdings auch seine Drogenprobleme, die ein erfolgreicheres Leben wohl verhinderten, auf seinen Großvater schieben möchte? Gravierender scheint die bipolare Erkrankung seiner Mutter zu sein, die inzwischen in einem Altersheim in New York lebt. Vor allem aber die Tatsache, dass er als dunkelhäutiges Kind (seine Mutter ist Afro-Amerikanerin) im Italien der 70er Jahre aufwuchs, dürfte ihn weit mehr geprägt haben, als sein berühmter Name.

Im Laufe der Dreharbeiten für diesen Dokumentarfilm scheint jedoch auch Alessandro Rossellini realisiert zu haben, dass er sich das Krankheitsbild der „Rossellinitis“ eingebildet hat, denn außer ihm, „leidet“ keiner seiner Verwandten am berühmten Namen. Immerhin ist er ehrlich und selbstironisch genug, um dies zu akzeptieren und eigene Fehler zuzugeben. Zumindest für Alessandro Rossellini selbst scheint die Suche zu sich selbst, die er in „The Rossellinis“ beschreibt“, also ergiebig gewesen zu sein.

 

Michael Meyns