Fateless – Roman eines Schicksallosen

Ungarn/ Deutschland/ England 2005
Regie: Lajos Koltai
Drehbuch und Roman: Imre Kertész
Kamera: Gyula Pados
Musik: Ennio Morricone
Darsteller: Marcell Nagy, János Bán, Judit Schell, Áron Dimény, Daniel Craig
Verleih: NFP marketing & distribution
Kinostart: 2.6.2005

Lajos Koltai hat einen Holocaust-Film gedreht, der die Schrecken der Lager mit dem naiven Blick eines Kindes darstellen will. Doch die Verfilmung des autobiographischen „Romans eines Schicksallosen“ von Imre Kertész, der auch das Drehbuch zu„Fateless“ geschrieben hat, ist nicht auf grandiose, sondern auf peinliche Weise gescheitert. Daran ist auch Ennio Morricone schuld, dessen unerträglich seichte Musik ans Perverse grenzt.

Dem Scheitern des Versuchs, dem absoluten Grauen Momente des Glücks abzuringen, kann man bei Lajos Koltais Verfilmung von Imre Kertész Roman „Fateless“ zuschauen. Der Film erzählt dicht an der Vorlage entlang die Geschichte eines 15-jährigen ungarischen Jungen, der ins Konzentrationslager von Buchenwald verschleppt wird. Er überlebt, und in der Schlussse-quenz des Films spricht seine Stimme aus dem Off: „Dort, bei den Schornsteinen, gab es in den Pausen zwischen den Qualen etwas, das dem Glück ähnlich war.“ Für Lajos Koltai wer-den diese Sätze zum Programm. Der ehemalige Kameramann von Istvan Szabo versucht den unmöglichen Spagat, zum einen den Schrecken der Lagerwelt zu bebildern, zum anderen eben jene Momente einzufangen, die Imre Kertész mit der Autorität dessen, der das Grauen der KZs am eigenen Leib erlebte, mit glücklichen Momenten assoziiert hat. Herausgekommen dabei ist ein Kompromiss zwischen Grauen und Idyll, der im Kitsch endet: Kameramann Gy-ula Pados („Kontroll“) ist angestrengt darum bemüht, möglichst schöne Bilder vom abgema-gerten Gestalten einzufangen, die bei Wind und Regen im Lagerhof zum Appell angetreten sind, bis einige von ihnen vor Erschöpfung umfallen. Hier wird deutlich, dass sich das Kino unmöglich den naiven Blick auf die Schrecken der Shoa bewahren kann. Wo der Leser des Romans sich noch mit dem kindlichen Ich-Erzähler identifizieren kann, da verwandelt die objektive Kamera des Films, die dessen Naivität nachzuahmen versucht, diese Haltung un-freiwillig in Zynismus: In Grau- und Sepiafarben wird da ein Gemälde inszeniert, in dem die grauenhaftesten Szenen der sich quälenden und sterbenden Häftlinge noch schön anzuschauen ist. Die Schwarzblenden kommen immer dann zum Einsatz, wenn das Grauen zu real wird und sich gegen seine Ästhetisierung sperrt. Deshalb bekommt man hier nicht den nackten Schrecken zu sehen, sondern nur den pittoresk überformten. Zu allem Überfluss untermalt Lajos Koltai die Bilder mit der Musik von Ennio Morricone, der immer schon alles vertont hat, was ihm vor die Feder kam, vom Softporno über den Italo-Western bis eben zum Holo-caust-Inszenierung. Morricone gießt sentimentalisch verzuckerte Filmmusik über die Bilder des Horrors. Während die Kamera über die in Reih und Glied angetretenen Gefangenen und über die angehäuften Leichenberge fährt, müssen die Zuschauer das Pathos von gefühlsbom-bastischen Klängen ertragen, die zwar zu „Spiel mir das Lied vom Tod“ nicht aber zur Insze-nierung der Shoa passen. Unweigerlich entsteht dadurch der Eindruck, die Kamera weide sich am Schrecken und versuche dem Leiden ästhetische Momente abzugewinnen.

Nur manchmal gibt es in dem Film auch geglückte Szenen – Szenen, die nicht nur die Bilder abrufen, die man bereits von anderen Hollywood-Holocaust-Filmen her kennt: In einer muss György entdecken, dass er tagelang seine Pritsche mit einem Toten geteilt hat, verschweigt dies aber auch danach noch und teilt sein Lager auch weiterhin mit der Leiche, um zu einer doppelten Ration Suppe zu kommen. Da gibt es bewegende Momente des Mitleids und der Solidarität inmitten einer von Gott verlassenen Welt, so etwa wenn der Mithäftling, der das Essen verteilt, den verzweifelten „Betrug“ bemerkt, aber trotzdem das für den Toten bestimm-te Essen an seinen Lagernachbar ausgibt. Doch das Pathos der Musik und die operettenhafte Inszenierung der Lagerwelt erdrücken solche subtilen Sequenzen.

Imre Kertész, der selbst das Drehbuch zu dem Film geschrieben hat, versucht „Fateless“ ge-gen solche Vorwürfe in Schutz zu nehmen und argumentiert, dass es sich bei dem, was man sieht, eben um den Blick des Jungen handelt. Doch der Literat hat unterschätzt, dass das Kino seine eigene Ästhetik hat und sich die Erzählweise des Romans nicht einfach in die Bilderwelt des Films übersetzen lässt.

Ralph Winkle