Fünf Dinge, die ich nicht verstehe

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In „Fünf Dinge, die ich nicht verstehe“ erlebt ein vernachlässigter Jugendlicher eine schwere Identitätskrise, nachdem er sich in seine beste Freundin verliebt hat. Er sucht seinen Platz in der Welt und an dem Ort an dem er lebt: auf einem Bauernhof inmitten einer nordrhein-westfälischen Kleinstadt, unweit des Ruhrpotts. Das Coming-of-Age-Drama ist ein vielversprechendes, abgeklärt inszeniertes Erstlingswerk über einen nach Anerkennung suchenden, außergewöhnlichen Heranwachsenden.

Webseite: www.filmgalerie451.de

Deutschland 2018
Regie: Henning Beckhoff
Drehbuch: Paula Cvjetkovic, Henning Beckhoff
Darsteller: Jerome Hirthammer, Peter Lohmeyer, Henning Flüsloh, Michelle Tiemann, Victoria Schulz
Länge: 71 Minuten
Kinostart: 07. November 2019
Verleih: Filmgalerie 451

FILMKRITIK:

Johannes (Jerome Hirthammer) steckt mitten in der Pubertät und hat absolut keine Lust mehr auf Schule. Lieber hängt er in der Stadt herum und lässt sich durch den Tag treiben. Von seinem Vater Rainer (Peter Lohmeyer), ein Landwirt alter Schule und leidenschaftlicher Jäger, sowie seinem Bruder Carsten (Henning Flüsloh) fühlt er sich im Stich gelassen. Einzig in seiner Freundin Marike findet er Halt und eine Person, die ihm zuhört. Allmählich entwickelt sich zwischen den Beiden mehr. Doch das bereitet Johannes größere Schwierigkeiten als zunächst gedacht: Er ist verwirrt und weiß nicht, was er will. Er distanziert sich von Marike und geht stattdessen mit den Männern im Dorf zur Jagd. Oder feiert die Nächte durch. Marike erkennt ihn nicht wieder und ihr wird klar, dass Johannes vor seinen Problemen davonläuft. Doch wie ist eine Flucht möglich, wenn man selbst das Problem ist?

In seinem ersten Spielfilm taucht der 28-jährige Regisseur und Drehbuchautor Henning Beckhoff tief in das Seelenleben eines sich hilflos fühlenden Teenagers ein. Johannes ist hin- und hergerissen zwischen Tradition und Moderne, zwischen dem einfachen, beschaulichen Leben in der (Klein-)Stadt und dem Wunsch nach Ausbruch und Freiheit. Der Jugendliche und sein innerer Konflikt stehen damit stellvertretend für das Emotionsleben vieler Heranwachsender, die eben nicht in Metropolen (oder zumindest Großstädten) sondern in ländlicher, provinzieller Gegend aufwachsen. In unmittelbarer Nähe befinden sich keine weltberühmten Sehenswürdigkeiten oder vielfältigen, abendlichen Ausgehmöglichkeiten. Stattdessen ein waldreiches Stadtgebiet, weitläufige Wiesen und idyllische Täler.

Das trifft zum Beispiel auf die 30 000-Einwohner-Stadt Ennepetal zu, die am südlichen Rand des Ruhgebiets liegt. Dort spielt „Fünf Dinge, die ich nicht verstehe“ und von dort stammt auch Beckhoff, der natürlich die sehenswertesten Orte und schönsten Plätze in der Region kennt. Das kommt dem Film sehr zugute, etwa in den atmosphärischen Jagdszenen im Wald. Diese sind sehr düster, fast ein wenig unheilvoll, gehalten. Sie spielen oft in den morgendlichen Dämmerungsstunden, wenn sich der aufsteigende Frühnebel langsam ausbreitet und die Windstille für eine ganz besondere Stimmung sorgt.

In Johannes‘ Wunsch mit auf die Jagd zu gehen und selbst Wild zu schießen manifestiert sich sein Verlangen danach, dazuzugehören und von den anderen Jägern akzeptiert zu werden. Er ist ein aufgewühlter junger Mensch, der dennoch reflektierend und mit offenen Augen durch die Welt geht. Und sich vielschichtige Fragen über die Komplexität des Seins stellt: Wer bin ich und wer könnte ich sein? Wieso lebe ich an diesem Ort und wäre ich woanders vielleicht glücklicher? Jerome Hirthammer zeigt als Johannes eine präzise und hingebungsvolle Darstellung, dasselbe gilt für Peter Lohmeyer als dessen Vater. Der mehrfach prämierte Charakterdarsteller erklärte sich bereit, ohne Gage in Beckhoffs Erstling mitzuwirken.

Dieser sorgt für Authentizität, da er viele Rollen von tatsächlich vor Ort lebenden Personen spielen lässt. Die Laienschauspieler müssen sich folglich vor der Kamera nicht verstellen, sie treten als sie selbst auf – und bringen auf diese Weise Unmittelbarkeit in den Film. Dasselbe gilt für die gelungene Ausstattung sowie die realistischen Requisiten und Handlungsorte. Schade ist, dass einige der interessanten Nebencharaktere, etwa Johannes‘ Bruder oder seine beste Freundin, nicht weiter ausgearbeitet und präzisiert wurden. So erscheinen sie oft nur als reine Staffage. Dies alles ist der geringen Laufzeit von knapp 70 Minuten geschuldet, die kaum Raum für ausgiebige, genauere Figurenzeichnung lässt.

Björn Schneider