Der Untertitel von Volker Koepps neuem Film „Gehen & Bleiben“ lautet Uwe Johnson. Folgen des Krieges. Zwei Themen, zwei große Themen, die Koepp in seiner typischen, suchenden, mäandernden Weise umkreist und streift, mal konkreter, mal abwesender. Gedreht während der Corona-Pandemie und dem Beginn des Ukraine-Konfliktes, vielleicht auch deswegen etwas unkonkreter als gewohnt, fast fahrig, aber immer noch mit genug konkreten, spannenden Ansätzen.
Deutschland 2023
Regie: Volker Koepp
Buch: Barbara Frankenstein
Dokumentarfilm
Länge: 168 Minuten
Verleih: Salzgeber
Kinostart: 20. Juli 2023
FILMKRITIK:
Uwe Johnsons „Jahrestage“, veröffentlicht zwischen 1970 und 1983, kurz vor dem frühen Tod des Autors, vier Bände, je nach Auflage zwischen 1700 und 2000 Seiten lang. Eines jener Werke, dass der Bildungsbürger gerne im Regal stehen hat, auch wenn es oft ungelesen geblieben ist. Geschrieben größtenteils in New York und dem englischen Seebad Sheerness-on-Sea, wo Uwe Johnson die letzten Jahre seines Lebens verbrachte und 1984 starb. Geboren wurde er 1934 in Cammin in Pommern, eine kleine Ortschaft, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein Teil Polens wurde. Ein Heimatloser war Johnson, so wie auch Volker Koepp, der zehn Jahre nach Johnson in Stettin geboren wurde.
Seit Jahrzehnten beschäftigt sich der Regisseur Koepp mit dem Ostseeraum, der Region zwischen Deutschland, Polen, dem Baltikum, dem antiken Sarmatien, den Menschen und Geschichten eines Landstriches, die im Laufe der Jahrhunderte Teil unterschiedlicher Länder waren, zahlreiche Kriege erlebt haben, von Vertreibung und Entwurzelung geprägt sind.
Fast seltsam, dass es so lange gedauert hat bis Koepp sich so konkret wie in „Gehen & Bleiben“ mit Uwe Johnson beschäftigte, einem Autor, der in der ehemaligen DDR studiert hatte, der Gruppe 47 angehörte, aber schon Ende der 50er Jahre das Land verließ und fortan ebenso mäandernd durch die Welt streifte, wie es Koepp in seinen Filmen tut.
Ein wenig ziellos ist der Ansatz von Koepp oft, von Neugier und Offenheit geprägt, aber immer auch etwas abhängig von den oft zufällig gefundenen Gesprächspartner, denen der Regisseur auf seinen Wegen begegnet. Zu Johnson Geburtsort zieht es ihn hier, in Nossendorf begegnet er dem Regisseur Hans-Jügen Syberberg, in Anklam der Autorin Judith Zander, in Goldberg dem Schauspieler Peter Kurth, dessen Stimme im Laufe des Films regelmäßig zu hören ist, Passagen aus Johnsons Werk vorlesend. Sie alle berichten von ihren Erfahrungen mit Johnson, vor allem aber über ihre eigene Suche nach Heimat, nach einer Verbindung zu ihren Geburts- und/oder Wohnorten.
Lose Verbindungen zum lange Jahre seines Lebens im Ausland, im Exil lebenden Johnson tun sich in manchen Fällen auf, in anderen erzählen die Gesprächspartner eher über sich selbst, bleibt der Bezug zum Thema des Films eher wage. Die Dreharbeiten zu „Gehen & Bleiben“ begannen während der Corona-Pandemie, bisweilen sind Masken zu sehen, aber da Koepp immer lieber in Landschaften, in der freien Natur gedreht hat, fallen diese kaum auf. Wichtiger scheint der beginnende Ukraine-Krieg zu sein, der in Momenten konkrete Parallelen zum Zweiten Weltkrieg zu eröffnen scheint, in dessen Endphase Koepp geboren wurde, den Johnson als Kind zum Teil bewusst erlebte.
Immer waren Volker Koepps Filme vom Suchen geprägt, von einer Neugier, die im besten Fall überraschende Verbindungen zwischen Mensch, Orten und Ereignissen schuf. Oft gelingt das auch in „Gehen & Bleiben“, diesmal allerdings weniger als in seinen besten Filmen. Etwas fahrig mutet die Suche diesmal an, allzu mäandernd, sich immer wieder in Geschichten und Anekdoten verlierend, die weit vom eigentlichen Thema, Uwe Johnson, entfernen.
Michael Meyns