Eine kraftvolle, düstere Stimme. Wechselnde Bühnenpersönlichkeiten. Musik, die Elemente diverser Stile und Gattungen zusammenführte. Die Doku „Heaven Stood Still: The Incarnations of Willy DeVille“ befasst sich mit Leben und Werk des unangepassten Singer-Songwriters Willy DeVille. Ein Mann, der im beruflichen wie auch im Privatleben Grenzen überschritt. Und dessen Karriere einer Achterbahn glich. „Heaven Stood Still“ spürt einem der ambivalentesten Vertreter der US-Rock-Ära nach und fragt, wieso DeVille der ganz große kommerzielle Erfolg verwehrt blieb.
USA 2022
Regie: Larry Locke
Buch: William Billy Borsey
Darsteller: Willy DeVille, Chris Frantz, Ben E. King,
Hal Willner
Länge: 101 Minuten
Kinostart: ?
FILMKRITIK:
Willy DeVille gehört zu den großen Unbekannten der Rock- und Blues-Geschichte, der es dennoch geschafft hat, in manchen Teilen der Welt zum Kultstar zu avancieren. Und der dank seines unkonventionellen optischen Auftretens und der musikalischen Vielseitigkeit bei seinen Verehrern bis heute unvergessen geblieben ist (DeVille starb 2009 im Alter von 58 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs).
Die private wie auch die künstlerische Seite des Ausnahmemusikers beleuchtet Regisseur Larry Locke in seiner Doku. Locke arbeitete über acht Jahre an seinem Werk und geht einer Frage nach, die ihn nach eigener Aussage seit jeher am meisten beschäftigte: Wie war es möglich, dass DeVille in Europa – zumindest für einige Jahre – beinahe so etwas wie ein Star war, in seiner amerikanischen Heimat jedoch nur wenig Beachtung und Zuspruch erfuhr. Antworten auf diese und andere Fragen geben etliche gut informierte Experten, Weggefährten und Zeitzeugen. Fast alle kannten DeVille gut.
Darunter Peter Wolf von der J. Geils Band („Centerfold“), Chris Frantz von den Talking Heads, Produzent Hal Willner sowie der Komponist Jack Nitzsche. Nitzsche produzierte einige Alben von DeVilles Band Mink DeVille, die mit ihrem Mix aus Roots Rock, Rock’n‘Roll und Blues in den 70er-Jahren für Furore sorgten. Nicht zuletzt die deutsche Musikpresse, darunter der Musikexpress und der Rolling Stone, waren voll des Lobes für Mink DeVilles treibenden, ehrlichen Rock.
Wie DeVilles Musik, jene mit seiner Band als auch seine Solo-Arbeiten, klang, davon vermittelt „Heaven Stood Still“ einen ausführlichen Eindruck. Locke präsentiert ausgewählte Konzertausschnitte und Live-Impressionen aus allen Karriere-Phasen des Künstlers. Hinzu kommen Auszüge aus Musikvideos, so zum Beispiel aus zwei Clips zu Songs, die DeVilles Erfolg in Europa mitbegründeten: die atmosphärische, Oscar-nominierte Ballade „Storybook Love“ (der Abspannsong des Fantasy-Films „Die Braut des Prinzen“) und DeVilles viel gerühmte Coverversion des Folk-Rock-Standards „Hey Joe“ von 1992.
In den späten 00er-Jahren, kurz vor DeVilles Tod, verhalf Quentin Tarantino dem Sänger zumindest in Nerd-Kreisen zu neuem, kurzem Ruhm. Tarantino verwendete DeVilles staubtrockenen Blues-Rocksong „It’s so easy“ (ursprünglich 1980 erschienen) für den Soundtrack zu „Death Proof“.
DeVille vermengte in seiner Kunst zudem unüberhörbar Einflüsse aus Soul, Punk, Tex-Mex, lateinamerikanischer sowie spanischer Volksmusik. Über die eigene Prägung und Motivation spricht der Sänger, zu dessen Markenzeichen die auffällig langen Jackets und der Goldzahn zählten, in den zahlreichen Interviewsequenzen. Hierfür greift Locke auf spannendes Archivmaterial zurück, in dem sich DeVille stets reflektiert und bisweilen gar selbstkritisch zeigt. Er berichtet unter anderem davon, wie er seine Heimat verließ, um im New York der mittleren 70er-Jahre und in legendären Clubs wie dem CBGBs die Punk-Revolution hautnah mitzuerleben. Doch auch einige der elementaren Schattenseiten und Tiefpunkte in DeVilles Leben und Karriere greift Locke auf. Dazu zählen die Jahre ohne Plattenvertrag und der Schulden ebenso wie die exzessive Alkohol- und Drogensucht.
Björn Schneider