In den Schuhen meiner Schwester

In her Shoes
USA 2005
Regie: Curtis Hanson
Drehbuch: Susannah Grant nach dem Roman von Jennifer Weiner
Kamera: Terry Stacey
Schnitt: Craig Kitson
Musik: Mark Isham
Darsteller: Cameron Diaz, Toni Collette, Shirley MacLaine, Mark Feuerstein, Richard Burgi, Candice Azzara
130 Minuten, Format 1:2,35
Verleih: FOX
Kinostart: 10. November 2005

Oberflächlich betrachtet ist In den Schuhen meiner Schwester die altbekannte Geschichte zweier Menschen, hier zwei Schwestern, die zwar vollkommen unterschiedlich sind, im Laufe des Films aber erkennen, das diese Unterschiede nur Äußerlichkeiten sind, die niemals über ihre innere Verbundenheit hinwegtäuschen können. Aus diesem Stoff macht Curtis Hanson nicht zuletzt dank seiner beiden exzellenten Hauptdarstellerinnen Cameron Diaz und Toni Collette einen unaufgeregten Film, der mit einfachen Mitteln viel erzählt.

Maggie (Cameron Diaz) und Rose (Toni Collette) sind Schwestern, wie sie kaum unterschiedlicher sein könnten: Maggie ist ein Partygirl, verantwortungslos und nicht in der Lage einen Job länger als ein paar Tage zu behalten. Rose, die etwas ältere, ist organisiert, erfolgreiche Anwältin und vom Verhalten ihrer Schwester zunehmend an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht. Der Tiefpunkt ist erreicht, als sie Maggie mit ihrem Boss im Bett erwischt, mit dem sie selbst gerade eine Affäre hat. Die Wege der Schwestern trennen sich, aber natürlich nicht für immer. Denn nach dieser, vielleicht etwas zu lang geratenen Exposition, zieht das Drehbuch seinen Trumpf und bringt die von Shirley McLaine gespielte Großmutter Ella ins Spiel. Beim schnüffeln nach versteckten Dollarscheinen findet Maggie zufällig einen Packen Briefe, den Ella den Schwestern geschickt hat, die ihr Vater aber vor ihnen verborgen hatte. Stück für Stück stellt sich heraus, dass die Mutter der Schwestern früh ums Leben gekommen ist, ein Ereignis, das die Familie entzweite. Geschickt benutzt Hanson die Parallelen im Verhalten der älteren und jüngeren Generation, um sich auf subtile Weise der Botschaft des Films zu nähern. Langsam erkennen die Schwestern was sie trotz aller Unterschiede aneinander haben und vor allem was sie verlieren würden, wenn sie ihre Animositäten nicht überwinden können.

Die Qualität des Films ist umso bemerkenswerter, führt man sich vor Augen, dass Hansons Film eigentlich ein großes Klischee ist. Allein die titelgebende Metapher der Schuhe lässt schlimmes erwarten, wird aber dankenswerterweise kaum weiter benutzt. In einer Fernsehserie wie Sex and the City mögen Schuhe als Symbol für Charaktereigenschaften ausreichend sein, in einem Spielfilm würde es banal wirken. Und auch sonst wird kaum ein Klischee ausgelassen, von der bösen Stiefmutter, bis zur verständnisvollen besten Freundin.

Dass der Film so gut funktioniert, dass er berührt, ohne sentimental zu sein, liegt an der durch und durch erwachsenen Haltung. Wie lange kein Hollywood-Film, lässt Hanson seinen Figuren Zeit, sich ihren Problemen klar zu werden, lässt sie reden, ohne dabei in ermüdende Diskussionen abzudriften, aber auch ohne einfache Lösungen anzubieten, wie sie im wirklichen Leben in den seltensten Fällen zu finden sind.

Einmal mehr erweist sich Hanson somit als Meister genauer Beobachtungen, der es wie nur wenige amerikanische Regisseure versteht, sich in ihm unbekannten sozialen Gefilden zurechtzufinden. Die Wohnanlage für Senioren, in der ein Großteil des Films spielt, steht in direkter Folge der Armenviertel Detroits in 8 Mile, den intellektuellen Kreisen einer Eliteuniversität in Wonder Boys, oder den Straßen und Polizeistation Los Angeles in L.A. Confidential. Und so unterschiedlich diese Filme auch sind, verbindet sie doch eins: Sie folgen einerseits den Strukturen ihrer jeweiligen Genres, verstehen es aber andererseits auch, über die bloßen Genrekonventionen hinauszugehen und ihre Protagonisten zu mehr zu machen als wandelnde Klischees.

Michael Meyns