Ixcanul – Träume am Fuß des Vulkans

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Selten war der Alfred-Bauer-Preis „für einen Spielfilm, der neue Perspektiven der Filmkunst eröffnet“ so verdient, wie für das auf der Berlinale 2015 ausgezeichnete guatemaltekische Drama „Ixcanul“. In ethnographischer Manier gewährt er einen faszinierenden Zugang zur Kultur der Maya und setzt gleichermaßen die Schicksale zweier Frauen derart bewegend in Szene, dass an ihnen die vielfältigen Brüche sichtbar werden können, die durch das von Armut und Gewalt geplagte Land gehen. Sensibel und in eindringlichen Bildern gelingt Jayro Bustamante ein stilles Arthouse Highlight.

Webseite: www.kairosfilm.de

OT: Ixcanul Volcano
Guatemala / Frankreich 2015
Regie und Drehbuch: Jayro Bustamante.
Mit  María Mercedes Croy, María Telón, Manuel Manuel Antún u.a.
Länge: 90 Min.
Verleih: Kairos
Start: 31.03.2016
 

Pressestimmen:

„Ein tolles Debut mit eigenen Wurzeln. Ein ungewöhnlicher Film, entwickelt aus einer indigenen Kultur“.
Berliner Zeitung „Die Geburt einer neuen Stimme des Weltkinos“.
Berliner Morgenpost „Große Kinobilder von intensiver Farbigkeit“.
Tip Berlin Der Film macht „Lust auf die andere Welt und gewachsenes, erwachsenes Selbstbewusstsein“.
Tagesspiegel Berlin „Unter den vielen Produktionen, die das ‚Weltkino‘ zur Zeit hervorbringt, ist IXCANUL nicht nur ein besonders ergreifender Film. Er ist auch ein erhellender, weil er die globalen Voraussetzungen für das Drama, von dem er erzählt, nicht außer acht lässt.“
Spiegel-Online

 

FILMKRITIK:

Es ist ein hartes Leben, dass die verbliebenen Indigenen Guatemalas am Rande des von ihnen verehrten Vulkanes fristen, immer in der Spannung zwischen sogenannten modernen Lebensformen und den uralten Traditionen und Riten der eigenen Kultur, zwischen Ausbeutung, Plantagenarbeit und den unerfüllten Träumen auf ein besseres Leben im Exil. Da diese schwer einlösbar sind, ertränken viele die Enttäuschungen im Alkohol, Antworten fehlen und selbst die banalste Kommunikation mit den spanisch sprechenden Behörden stellt eine Herausforderung dar.

Ein Schwein wird aus dem Stall gezerrt, es soll sich paaren, doch beiden Tieren fehlt die rechte Lust. So wird angeraten, ihnen Schnaps zu verabreichen, um zu forcieren, was sich nicht fügen will. Ein starkes Bild, das sich auf das Dilemma der 17jährigen Protagonisten María übertragen lässt. Sie soll ihre Familie vor der völligen Armut bewahren, indem sie den verwitweten Vorgesetzten des Vaters ehelicht, um ihre Meinung wird sie dabei nicht gefragt. Die stille Ohnmacht zeichnet sich auf ihrem Gesicht in beeindruckender Weise ab, schmerzhaft, jedoch auch voller Würde und Stolz.

María liebt einen jungen Kaffeepflücker und träumt von einer gemeinsamen Flucht in die Vereinigten Staaten, doch auch hier wird sie zum Opfer patriarchaler Gewalt: Um ihm zu gefallen, lässt sie sich auf eine sexuelle Begegnung ein, wird jedoch schwanger von ihm zurückgelassen. Als einzige Verbündete bleibt ihre Mutter, die mit dem gesamten rituellen Wissen, das ihr zur Verfügung steht, versucht, eine Lösung für die drohende Katastrophe zu finden und die Schwangerschaft zu beenden, um die anstehende Hochzeit nicht zu gefährden. Dabei riskiert sie jedoch auch das Leben ihres Tochter.

Jayro Bustamante entgeht der Falle, in welche Filme über indigene Kulturen oft geraten, indem er weder auf exotistische Weise romantisiert, noch falsches Pathos ansetzt. Eine distanzierte Haltung, die derartige Problematiken nur den „Vormodernen“ zuschreibt, wird nie aufgesucht, Bustamente reflektiert die globale Mitverantwortung des ökonomischen Elends ebenso wie die Gewalt, der Frauen in jeder Kultur durch Männer ausgesetzt sind und lässt seinen Protagonistinnen den Raum, diese Konflikte mit sehr viel Stärke und Gefühl zu durchleben. Bereits durch die Herangehensweise wird jene gemeinsame Entwicklung des Stoffes auf Augenhöhe deutlich.

Vor Drehbeginn hat Bustamante lange mit den Maya Schauspiel- und Schreibworkshops initiiert, um ihre Geschichte(n) kennen zu lernen und eine gemeinsame Basis für das interkulturelle Projekt zu finden. Schließlich läuft ein solches oft in Gefahr, einseitige Repräsentationen des Fremden zu schaffen und so die koloniale Ausbeutung zu wiederholen. Diese Gratwanderung meistert „Ixcanul“ auf beeindruckende Weise und gewährt so einen differenzierten Einblick in das indigene Leben Guatemalas, der auch durch die Komposition seiner Bilder zu überzeugen weiß.

Die karge, tote Landschaft bildet einen intensiven Kontrast zu den leuchtenden Farben der traditionellen Kleider und erzeugt so eine tiefe Faszination für die andere Kultur, die dennoch, über das Schicksal der Frauen, auch kritisch reflektiert wird.
Und schließlich sind sie es, denen der Film gehört und deren Spiel die tiefsten Spuren beim Zuschauer hinterlässt. „Ixcanul“ bedeutet in der Cakchiquel-Sprache ebenfalls „Kraft, die in der Erde brodelt“ – und eine solche Kraft ist es auch, die sich über das stets auf subtile Weise bebende Gesicht von María Mercedes Croy auf uns übertragt.
 
Silvia Bahl