Jonathan (2016)

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Ein Familiendrama, ein Film über Sterben und auch über unterdrückte Homosexualität. Sehr viel hat sich Piotr J. Lewandowski für seinen Debütfilm „Jonathan“ vorgenommen, oft ein wenig zu viel. Und nicht nur in dramaturgischer Hinsicht zeigen sich in dem ansprechend gefilmten Drama viele Stärken und Schwächen eines (über)-ambitionierten Debüts.

Webseite: www.farbfilm-verleih.de

Deutschland 2016
Regie & Buch: Piotr J. Lewandowski
Darsteller: Jannis Niewöhner, André M. Hennicke, Julia Koschitz Thomas Sarbacher, Barbara Auer, Max Mauff, Leon Seidel
Länge: 99 Minuten
Verleih: Farbfilm
Kinostart: 6. Oktober 2016
 

FILMKRITIK:

Jonathan (Jannis Niewöhner) ist Anfang 20 und lebt auf dem Bauernhof seiner Familie. Sein Vater Burghardt (André M. Hennicke) ist unheilbar an Krebs erkrankt und sehnt angesichts der zunehmenden Schmerzen seinen Tod herbei. Auf dem Hof lebt auch Burghardts Schwester Martha (Barbara Auer), die ein merkwürdiges, gespanntes Verhältnis zu ihrem Bruder hat. Der Konflikt scheint durch Ron (Thomas Sarbacher) verursacht zu sein, ein alter Freund Burghardts, der plötzlich auftaucht und die Gefühlslage aller Beteiligten durcheinander bringt.

Welche Rolle hat der attraktive Mann einst für seinen Vater gespielt, fragt sich Jonathan, was ist vor Jahren passiert, als seine Mutter bei einem Unfall ums Leben kam. Bei seiner Suche nach Antworten gerät Jonathan zunehmend in Konflikt mit seinem Vater, der ihm jahrelang nicht die ganze Wahrheit über sein Leben und seine Sexualität erzählt hat. Jonathan selbst verliebt sich derweil in die junge, attraktive Pflegerin Anka (Julia Koschitz), die immer häufiger bei der Pflege Burghardts hilft und mit ihrer unbeschwerten, freien Art die Mauern der Familie aufbricht.

Ein starkes Ensemble hat Piotr J. Lewandowski für seinen Debütfilm „Jonathan“ zusammenbekommen, wobei vor allem das Vater-Sohn Duo André M. Hennicke und Jannis Niewöhner überzeugt. Zwischen Nähe und Distanz, Vorwürfen und Verständnis bewegt sich die Beziehung der Beiden im Verlauf des Films, eine emotionale Achterbahnfahrt, die auch vergessen lässt, dass der eigentliche Auslöser des Konflikts wenig glaubwürdig erscheint. Unterdrückte Homosexualität als Ursache einer jahrelang aufrechterhaltenen Lebenslüge mutet wie ein Konstrukt aus den 50er Jahren an, wirkt in der heutigen Zeit aber nicht mehr zwingend. Auch andere Aspekte des Drehbuchs wirken unterentwickelt, Barbara Auers Figur etwa, die viel zu wenig zu tun hat, dies zeigt sich auch in der visuellen Gestaltung.

Viel Zeit haben Lewandowski und sein Kameramann Jeremy Rouse augenscheinlich damit verbracht, allerlei Getier in Nahaufnahmen zu filmen, ständig kriecht und krabbelt es, wenn nicht gerade malerische Sonnenuntergänge durch die Bäume glitzern. Höchst atmosphärisch ist das, was in manchen Momenten angebracht scheint, vor allem in der zarten Entwicklung der Beziehung zwischen Jonathan und Anka. Auf Dauer muten diese Stilmittel jedoch angestrengt und unkontrolliert eingesetzt an, sind zwar für sich schöne Bilder, die aber den Fluss des Films unterbrechen und vor allem auf sich selbst verweisen.

Das typische Problem eines Debütfilms, in dem viel ausprobiert wird, alles Mögliche und Denkbare einfach gemacht wird, sich in gewisser Weise ausgetobt wird. Ein manchmal sympathischer Zug des Experimentierens, der jedoch auch der eigentlichen Erzählung im Wege stehen kann. Die entwickelt sich über lange Zeit eher lose und findet vor allem im letzten Drittel zu einer Dichte, einer Fokussiertheit, in der die Emotionalität der Figuren mit der Qualität des Schauspiels und der Inszenierung in Einklang kommen.
 
Michael Meyns