Kin-Dza-Dza!

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Als Klassiker des späten sowjetischen Kinos gilt Georgi Danelijas 1986 entstandener „Kin-Dza-Dza!“, vor allem aber als einer der seltsamsten Filme der Geschichte. Im Ansatz erzählt Danelija eine dystopische Science-Fiction-Geschichte, die vor allem in einer fast menschenleeren Wüste spielt, dabei aber auf vieldeutige Weise sozialkritisch zu interpretieren ist.

Website: https://dropoutcinema.org/

Sowjetunion 1986
Regie: Georgi Danelija
Buch: Georgi Danelija, Reso Gabriadse
Darsteller: Stanislaw Ljubschin, Jewgeni Leonow, Juri Jakowlew, Lewan Gabriadse, Irina Shmeleva, Lev Perfilov
Länge: 132 Minuten
Verleih: drop out cinema
Kinostart: 10. September 2020

FILMKRITIK:

Einmal den falschen Knopf gedrückt, schont landet man in der Wüste. So ergeht es dem russischen Vorarbeiter Wladimir (Stanislaw Ljubschin), genannt Onkel Wowa und dem georgischen Studenten Gedewan (Lewan Gabriadse), genannt Der Geiger, da er stets eine Geige mit sich trägt auch wenn er sie nicht spielen kann. Mitten in Moskau hatte das Duo einen seltsamen Fremden getroffen, der nach den Koordinaten der Erde fragte, denn die braucht er, um zu seinem Heimatplaneten zurückzukehren. Der heißt Plük und dort finden sich nun Wladimir und Gedewan wieder. Bald begegnen sie Uef (Jewgeni Leonow) und Bi (Juri Jakowlew), die in einer reichlich ramponierten Blechbüchse durch die Gegend fliegen, um Geschäfte zu machen, genauer gesagt: Zu tauschen. Wie das irdische Duo schnell feststellt, sind sie im Besitz von ganz besonders wertvollen Tauschmitteln, denn ihre banalen Streichhölzer sind auf Plük besonders begehrt. Warum, das bleibt wie so vieles im Dunkeln, denn die Bewohner von Plük sprechen fast nur in zwei Worten: Kü und Ku, wobei Kü ein gesellschaftlich akzeptiertes Schimpfwort ist und Ku für alle anderen Worte steht.

Die Kommunikation mit den Einheimischen erweist sich also als schwierig, dennoch verstehen Wladimir und Gedewan bald, dass auf Plük eine Klassengesellschaft herrscht, die durch die Farbe der Hosen unterschieden wird. Zudem tragen die Vertreter der niederen Klasse kleine Glöckchen in der Nase. Aus der Einöde der Wüste Plüks zurück in ihre Heimat zu finden, bereitet den beiden unfreiwilligen Weltraumreisenden einige Kopfschmerzen.

Sehr seltsam mutet „Kin-Dza-Dza!“ an, ein Science-Fiction-Film, der weniger mit den Weltraumschlachten und exotischen Wesen westlicher Filme gemein hat, als mit absurdem Theater. Vor allem in den Weiten der Karakum Wüste in Zentralasien wurde gedreht, dazu in verfallenen Industrieanlagen, die mehr als eine Spur postapokalyptischer Tristesse verbreiten. Ob es sich hierbei aber um die Überreste einer westlichen Kultur handelt oder doch der Zerfall des Sowjetsystems angedeutet wird bleibt – fraglos ganz bewusst – offen.

Wie so viele Filme, die in autokratischen Systemen entstanden, musste auch Danelija seine Intentionen verschlüsseln, sie unterschwellig schmuggeln, damit die Zensoren glauben konnten, dass es sich bei „Kin-Dza-Dza!“ um nicht mehr handelt, als eine seltsame Science-Fiction-Phantasie. Dass hier jedoch mehr im Spiel ist, das zeigt zum einen der große Erfolg des Films, der allein in der Sowjetunion 15 Millionen Zuschauer hatte, vor allem aber, wie sehr er in der sowjetischen, später der russischen Kultur verhaftet ist.

Manche der wenigen normalen Wörter, die die Bewohner von Plük sprechen, wurden zu geflügelten Worten, die im Film dargestellte Mangel- und Tauschwirtschaft, das vorherrschende Misstrauen gegen die Mitbürger, ließen Danellijas Film in der postsowjetischen Zeit als schwarze Satire auf den Verfall des Sowjetsystems wirken und machten ihn zum Kultfilm. Für den deutschen Zuschauer der Gegenwart ist „Kin-Dza-Dza!“ nun vor allem ein fast ethnologisches Relikt, das ganz eigene, sehr seltsame, aber durch und durch faszinierende Einblicke in das Wesen der späten Sowjetunion ermöglicht.

Michael Meyns