Sommer 85

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„Und es war Sommer“ - ganz wie im alten Hit von Peter Maffay, erzählt Frankreichs Arthaus-Liebling François Ozon eine Retro-Lovestory über die erste große Liebe, die sich anno 1985 in einem malerischen Küstenörtchen der Normandie zuträgt. Zwei Teenager, himmelhoch jauchzend verknallt, nach dem Eifersuchts-Eklat zu Tode betrübt. „La Boum“ trifft „Call Me By Your Name“ und Rod Stewart röhrt gleich zweifach „I am Sailing“ dazu. Originell verpackter Liebesfilm mit leinwandpräsenten Helden, ebenso hübschen Bildern sowie nostalgisch korrekte Ausstattung. Et voilà: Ein echter Ozon!

Webseite: https://www.wildbunch-germany.de/movies

F 2020
Regie: François Ozon
Darsteller: Félix Lefebvre, Benjamin Voisin, Philippine Velge, Valeria Bruni-Tedeschi, Melvil Poupaud
Filmlänge: 100 Minuten
Verleih: Wild Bunch; Vertrieb: Central
Kinostart: 27. Mai 2021

AUSZEICHNUNGEN: Festival Cannes Official Selection 2020

FILMKRITIK:

„Das ist er. Der künftige Leichnam“, so stellt Alexis (Félix Lefebvre) als Ich-Erzähler dem Publikum seinen neuen Bekannten David (Benjamin Voisin) vor. Der sechzehnjährige, recht naive Held gerät beim Segeln in ein Gewitter und kentert. Sein zwei Jahre älterer, reichlich coole Retter hat die Lage sofort souverän im Griff. Erst nimmt er das Boot in Schlepptau. Dann schleppt er den Segler ab. Die nassen Klamotten müsse er wechseln, fordert David mit Nachdruck. Zudem locke ein heißes Bad in der luxuriösen Villa seiner Mutter. Die leicht neurotische Mama ist hellauf begeistert vom neuen Gast, zieht ihm höchstpersönlich im Badzimmer die Kleidung aus und frohlockt: „Mein David braucht endlich einen Freund!“ Der auch im übertragenen Wortsinn blauäugige Alexis weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Halb zog er ihn, halb sank er hin, so lautet später auch das Motto im Verhältnis zum selbstbewussten David. „Die Kunden werden dein engelhaftes Gesicht lieben!“, mit solchen Komplimenten lässt Alexis sich schnell überreden, im Familiengeschäft von David und seiner Mutter mitzuarbeiten.

So rasch das Kennenlernen der Teenager über die Bühne ging, so geschmeidig entwickelt sich eine rasante Romanze. „Sie wollen wissen, was in jener Nacht hinter dieser Tür geschah?“ fragt Alexis das Publikum. „Aber ich verrate es nicht. Nur soviel: Es war die schönste Nacht meines Lebens. Und ich verbrachte sie mit David.“ Dass die verliebten Jungs in der Disco zu unterschiedlicher Musik im Walkman tanzen, mag ein erster Hinweis auf kommende Dissonanzen sein. Eifersüchteleien ziehen gleichfalls als dunkle Wolken auf. Erst harmlos in der Ferne, später als heftige Bedrohung der Beziehung, die sechs Wochen dauerte, „1008 Stunden oder 3.628.800 Sekunden“, wie Alexis vorrechnen wird.

In seinem 19ten Werk bleibt François Ozon seiner Vorliebe von Romanverfilmungen treu, diesmal fiel die Wahl auf „Tanz auf meinem Grabe“ des Briten Aidan Chambers, die der Franzose schon lange auf seiner Wunschliste hatte. Gleich zu Beginn wird mit einem Zeitsprung deutlich, dass dieser Lovestory ein tragisches Ende beschieden ist. Der junge Held befindet sich im Polizeigewahrsam. „Manchmal verstehen wir nicht, was er sagt“, wird die besorgte Mutter berichten und meint das Faible des Sohnes für den Tod. Mit eleganter Raffinesse wird die dramatische Geschichte jener ersten großen Liebe in Rückblicken erzählt. Visuell weiß Ozon traditionell mit Einfallsreichtum zu überzeugen. Von wilden Ausfahrten auf dem Motorrad zu zweit, die zum brutalstmöglichen Anschmiegen zwingen. Über einen verblüffenden Kostüm-Coup im Leichenschauhaus. Bis zum nächtlichen Tanz an einem denkbar ungewöhnlichen Ort, bei dem Rod Stewarts Ohrwurm „I am Sailing“ höchst emotional zur Geltung gebracht wird.

Mit dem Newcomer-Duo Félix Lefebvre und Benjamin Voisin hat Ozon zwei leinwandpräsente Darsteller gefunden, die das Liebespaar mit Lässigkeit sowie der notwendigen Glaubwürdigkeit gibt und zwischen denen die Chemie spürbar funktioniert. Ähnlich stimmig klingt der nostalgische Soundtrack von The Cure über Bananarama bis zur Rod Stewart. Zum guten Schluss darf der geläuterte Held noch eine neu gelernte Lebensweisheit zum Besten geben: „Das einzige, was zählt: Irgendwie deiner Geschichte zu entkommen.

Dieter Oßwald