Lindenberg – Mach dein Ding

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Für Udo-Lindenberg-Fans ein absolutes Muss, und für alle anderen eine spannende und überaus unterhaltsame Geschichte über einen Jungen aus der Provinz, der genau weiß, wohin er will, und alles dafür tut. Ein starker Film über eine starke Persönlichkeit mit viel Zeitkolorit, Musik und tollen Darstellern. Lohnt.

Webseite: www.lindenberg-film.de

Deutschland 2019
Regie: Hermine Huntgeburth
Drehbuch: Alexander Rümelin, Christian Lyra, Sebastian Wehlings
Darsteller: Jan Bülow, Julia Jentsch, Charly Hübner; Detlev Buck
Länge: 135 Minuten
Verleih: DCM
Kinostart: 16. Januar 2020

FILMKRITIK:

Heute wirkt Udo Lindenberg, mittlerweile 73 und aktiv wie eh und je, beinahe wie eine Erscheinung aus früheren, wilderen Zeiten: der braune Hut auf den immer noch langen Haaren, die Sonnenbrille, oft eine Zigarre in der Hand … was für Unwissende als Outfit eines etwas komischen Vogels daherkommen könnte, verbindet sich in dieser Kombination automatisch mit dem Namen Udo Lindenberg, eine Marke mit hohem Wiedererkennungswert: Das ist er, der Rockstar Nr. 1 in Deutschland. – Aber wie kam es eigentlich dazu?
 
Der Weg aus dem beschaulichen westfälischen Gronau zum Ruhm wird lang und steinig. Bereits als 15-Jähriger verlässt Udo sein Elternhaus, um in die Gastronomie zu gehen. Doch das ist wohl eher eine Ausrede, um aus der Enge und Spießigkeit der Provinz herauszukommen und vor allem: um Musik zu machen. Udo probiert sich aus, zum Beispiel als Schlagzeuger einer Jazzband auf einem US-Luftwaffenstützpunkt in Libyen. Bald darauf landet er in Hamburg, in der Stadt, die seine neue Heimat werden wird und wo er bis heute lebt. Und er probiert sich weiter aus. Als Studiomusiker verdient er seine Brötchen, er spielt in Bands, nebenbei arbeitet er an der eigenen Solo-Karriere. Eine erste LP, englisch gesungen, wird zum Flop, doch Udo Lindenberg lässt nicht locker. Bald darauf erscheint sein erster deutschsprachiger Song auf einer Single. Die B-Seite (jawohl, so etwas gab es früher, denn Schallplatten hatten zwei bespielbare Seiten!) wird mit „Hoch im Norden“ schon ein Achtungserfolg in Hamburg und Umgebung. Das folgende Album „Andrea Doria“ macht Udo Lindenberg zum Star. So viel zum Beginn einer Karriere, die noch immer andauert.
 
Hermine Huntgeburth und die drei Drehbuchautoren beschränken sich nicht thematisch auf den Weg nach oben. Mindestens ebenso wichtig sind Selbstzweifel, Krisen und Abstürze, gescheiterte Beziehungen, Enttäuschungen und Fehlschläge, da geht es also um den Menschen Udo und wie er sich findet, nicht nur musikalisch, und ein bisschen Liebe gehört natürlich ebenfalls dazu. Manche seiner Freundinnen hat er in Songs verewigt, so das „Mädchen aus Ost-Berlin“. Zwischen dem Udo von heute, dem Panik-Rocker, dem König der Schnoddrigkeit, und dem Jungen von damals klaffen Abgründe, die nicht nur von Zeit und Raum, sondern vom Leben gegraben wurden. Jan Bülow, der 2016 in RADIO HEIMAT seine erste Kino-Hauptrolle hatte, spielt und singt (!) den jungen Udo – eine schwierige Aufgabe, die er souverän löst. Dabei hilft ihm zunächst eine gewisse Ähnlichkeit im Typ, die er durch eine geschickte Mimik (und mit Hilfe der Maskenabteilung) unterstützt, sowie sein Bewegungstalent, mit dem er sich Gang, Gestik und Bühnenpräsenz aneignet. Er muss Udo Lindenberg sehr intensiv studiert haben – aber die Vorbereitung auf eine Rolle gehört zum Schauspielerdasein wie der Hut auf Udo Lindenbergs Kopf. Noch mehr Lob gebührt Jan Bülow, weil er seine Rolle eben nicht über Ähnlichkeiten abfeiert. Stattdessen findet er eine sehr eigene und eigenwillige Form der Interpretation, die vielleicht, vielleicht aber auch nicht den wahren Udo zeigt, die Persönlichkeit hinter dem verschatteten Pokerface. Jan Bülow macht aus dem Provinzjungen einen zu Beginn gar nicht mal so sympathischen, sondern ziemlich überheblichen Bengel mit einer großen Klappe, einen jungen Rebellen, der überall aneckt und dem es problemlos gelingt, sich unbeliebt zu machen. Dieser Udo denkt gar nicht daran, sich anzupassen. Er ist leidenschaftlich, kompromisslos und sehr experimentierfreudig. Das gilt für Alkoholexzesse ebenso wie für Liebschaften. Ruby O. Fee als „Paula auf St. Pauli, die sich immer auszieht“ überzeugt dabei mit Temperament und viel Sex-Appeal. Seinerzeit, in den 70er Jahren, gab es diesen Begriff noch, ebenso wie kettenrauchende Menschen in der Öffentlichkeit. Das alles gehört zum Zeitkolorit, das im Film wie selbstverständlich zum Leben erwacht. Und dieser Umgang mit den alten Zeiten macht den Film noch sympathischer, denn hier wird keinesfalls einer kritiklosen Nostalgie gefrönt, sondern im Gegenteil: Wie beim Original-Lindenberg dominiert auch im Film ein lässiger und leicht schnoddriger Unterton, mit dem so ganz nebenbei und lakonisch Gesellschaftskritik vermittelt wird. Die Handlung ist dabei nicht linear, was sowohl Zeitsprünge als auch assoziative Bilder ermöglicht und für eine angenehme Spannung im Erzählrhythmus sorgt. Im Mittelpunkt stehen die Hamburger Jahre vor Udo Lindenbergs Durchbruch, den er zumindest teilweise dem Plattenproduzenten und Talentscout Mattheisen verdankt, der von Detlev Buck mit liebenswerter Großspurigkeit verkörpert wird. Ebenfalls unbedingt erwähnenswert sind Max von der Groeben als Steffi Stephan, bis heute Udo Lindenbergs wichtigster Weggefährte seit Jugendzeiten, Charly Hübner, der den saufenden und zockenden Vater Lindenberg spielt, und Julia Jentsch als sanftmütige Mutter Hermine. Sie alle geben der eigentlich märchenhaften Geschichte vom Aufstieg eines Provinzjungen zum Idol für Millionen genau den richtigen Schuss Realismus, der das musikalische Biopic zum lohnenden Kinoerlebnis macht.
 
Gaby Sikorski