Lionhearted – Aus der Deckung

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Mit Herz, Humor, Verstand und sehr viel Power: Rund um den engagierten Münchner Boxtrainer Ali Cukur entspinnt sich die spannende und bewegende Geschichte einer Gruppe von Jugendlichen, die über das Boxen ihr Leben ändern wollen und werden. Ein Trainingslager in Ghana wird dabei zur Initialzündung für die menschliche und sportliche Entwicklung.

Webseite: https://lionhearted-der-film.de/

Dokumentarfilm
Deutschland 2019
Buch und Regie: Antje Drinnenberg
Kamera: Janis Willbold
Länge: 90 Minuten
Verleih: Filmperlen
Kinostart: 23.9.2021

FILMKRITIK:

Er ist nach eigener Aussage Hausmeister, Fundbüro, Putzfrau und zusätzlich Trainer: Ali Cukur, der charismatische Leiter der Boxabteilung des TSV 1860 München, und selbst eine bayrische Boxlegende. Seine Schützlinge kommen aus der ganzen Welt, viele von ihnen sind in München gestrandete Jugendliche, die keinen Tritt fassen können. Sie wissen nicht, wohin mit ihrer Power und mit ihrer Energie, sie langweilen sich und haben kaum eigene Interessen. Ein Schulabschluss ist keinesfalls selbstverständlich, schon gar nicht mit guten Noten. Die meisten kommen aus schwierigen sozialen Verhältnissen, manche wurden kriminell. Ihnen gemeinsam ist die Liebe zum Boxen. Ali Cukur ist für sie da, er nimmt sie alle an wie seine eigenen, inzwischen schon längst erwachsenen Kinder, er fängt sie auf, nimmt sie ernst, fördert und fordert sie, packt sie bei ihrem Ehrgeiz, von dem sie vielleicht noch gar nicht wissen, dass sie ihn haben.

So wie Saskia. Boxen ist ihr Leben, aber da fehlt ab und an mal der Kampfgeist, und sie lässt sich ganz gerne hängen. Auch Burak ist vom Boxen begeistert und schon lange dabei. Dank Ali ist es ihm gelungen, eine Ausbildung abzuschließen. Doch sein Temperament macht ihm immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Er sagt: „Ali ist Voodoo“ und wünscht sich, sein Leben unter Kontrolle zu bringen. Auch für Raschid, eines der größten Talente in der Boxabteilung, ist Ali nicht nur ein väterlicher Freund, sondern das beste Vorbild. „Früher hab ich ‘ne Menge Mist gebaut“, sagt er. Vielleicht hat sein Schicksal Ali auf die Idee gebracht, das jährliche Trainingslager nach Ghana zu verlegen, denn mit 12 wurde Raschad von seinem eigenen Vater nach Togo gebracht – eine ganz neue Erfahrung für den gebürtigen Münchner mit afrikanischen Wurzeln, der sich plötzlich allein und in einer vollkommen fremden Umgebung wiederfand und vieles daraus lernte. Alis Schützlinge reisen nach Akkra, wo das Box Gym am Rande eines Slums direkt neben der Müllhalde liegt. Die bayrischen Boxer werden mit sehr viel Herzlichkeit und Gastfreundschaft aufgenommen. Man staunt über die Disziplin und Härte, mit der Charles Quartey, die ghanaische Ausgabe von Ali Cukur, seine Jungs trainiert. Der Ex-Profi holt sie von der Straße, gibt ihnen zu essen, schickt sie in die Schule und kümmert sich um sie. „Die Gemeinschaft – einer für alle, alle für einen, das sollen sie lernen“, sagt er, und Ali Cukur stimmt zu.

Antje Drinnenbergs Film ist ein Glücksfall für das dokumentarische Kino in seiner Intensität und Leichtigkeit und mit einer Mut machenden Aussage ohne erhobenen Zeigefinger. Zu Beginn und zwischendurch zeigt sie in gut getimten Schwarzweißbildern und zu rockigen Elektroklängen gut getimte Kampfbilder, in denen es sportlich zur Sache geht. Doch das Hauptgewicht liegt auf den Biographien der Münchener Boxer und ihres Trainers, der selbst als Kind ein schweres Schicksal hatte und dem das Boxen half, sein Leben zu sortieren. Ali Cukur ist ein Vollblutpädagoge, der sich den Jugendlichen mit ganzer Kraft widmet und dabei alles richtig macht. Mit viel Feingefühl findet er die richtige Balance zwischen Zuwendung und Strenge. „Sie brauchen eine Hand, die sie führt, jemanden, der es gut mit ihnen meint“, sagt er. Antje Drinnenberg gelingt es, in 90 sehr unterhaltsamen Minuten all das einzufangen, was seine Persönlichkeit ausmacht: Lebensfreude, Liebe zum Boxen, Herzlichkeit und Humor gehören dazu. Dabei porträtiert sie in abwechslungsreichen Bildern seine Schützlinge ebenso wie die Mitglieder des afrikanischen Partner-Gyms, sie lässt allen Raum, sich zu öffnen, und schafft dabei eine Atmosphäre, die trotz der grundsätzlichen Ernsthaftigkeit der Geschichte von einer gewissen Leichtfüßigkeit geprägt ist. „Jeder hier hat ein bisschen Risse“, sagt Ali zwischendurch und schafft den humorvollen Vergleich zwischen Menschen und dem Boxsack. Und so wie der Boxsack braucht auch jeder Mensch Pflege und Zuwendung. Dann klappt das schon mit dem Leben.

Gaby Sikorski