Love 3D

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Blut, Sperma und Tränen – das sind die Essenzen, die sich ein junger Filmemacher in einem lebensechten Kino erträumt. Für ihn erledigt das nun Gaspar Noé, der seinem Ruf als Skandalregisseur („Irreversible“) in einem vor allem auf explizite Sexszenen setzenden Beziehungsdrama äußerst dienstbeflissen, leider aber auch etwas blind für tragfähige Inhalte, nachkommt. Die ausgesprochen starke Bildgestaltung von „Love“ ist deshalb auch nur Oberfläche. Eine, die jedoch reichlich Reibung verspricht – 3D hin oder her.

Webseite: www.alamodefilm.de

Frankreich 2015
Regie: Gaspar Noé
Darsteller: Aomi Muyock, Karl Glusman, Klara Kristin, Juan Saavedra
135 Minuten
Verleih: Alamode Film
Kinostart: 26.11.2015
 

FILMKRITIK:

„The Theatre Management warns you“ ist gleich zu Beginn dick auf die Leinwand gepinselt, dann geht’s ohne Umschweife zur Sache, sprich: rein in die Federn und zugeschaut beim Liebesspiel eines sich intensivst und genüsslich an den Lust empfindenden Stellen ihrer Körper massierenden Paares. Nicht zu knapp verweilt die Kamera in dieser von Glenn Goulds „Goldberg Variations“ fast schon feierlich untermalten Einstellung auf den Liebenden, bis dann nach langen Minuten so etwas wie eine Handlung einsetzt. In der klingelt ein Telefon und erfährt ein verkaterter junger Mann, dass sich die Mutter seiner Ex-Freundin Electra um ihre Tochter sorgt und ihn fragt, ob er denn ein Lebenzeichen von ihr habe.
 
In nicht immer chronologisch aufeinanderfolgenden Rückblenden wird nun die Geschichte dieses Paares – es ist jenes, das man eingangs im ungenierten Umgang miteinander kennenlernte – erzählt. Der junge Mann, Murphy (Karl Glusman), lebt nun offenbar mit einer anderen Frau und einem kleinen Kind zusammen. Glücklich wirken sie nicht gerade. Gleich in einer der ersten Rückblenden erfährt man, dass auch der in Paris Film studierende Murphy (Karl Glusman) schon einmal bei der Mutter seiner Ex (Aomi Muyock) über deren Verbleib wissen wollte. Auslöser der Trennung war wohl eine Folge von Eifersucht und Depression, hatte Murphy nach einem zunächst einvernehmlichen Dreier mit Electra und der neuen Nachbarin Omi (Klara Kristin) nochmals mit Omi geschlafen und diese prompt geschwängert. Mit ihr und dem nunmehr zweijährigen Kind sitzt er nun da und bläst mehr oder weniger Trübsal.
 
Dass Murphy gefühlstechnisch zwischen zwei Türen steht, das macht Noé auch bildlich immer wieder in seinen vorwiegend statischen Einstellungen deutlich. Aus dem Off lässt er Murphy seine Gedanken flüstern, zeigt ihn als Mensch, bleibt aber seltsam abwesend, unnahbar und hölzern. Was Omi zur genervten Aussage verleitet: „Kümmer Du Dich um Deine Vergangenheit, ich kümmere mich um die Zukunft.“
 
Die Vergangenheit, man kann sie in diesem Fall als eine Mischung aus „Die Träumer“ von Bernardo Bertolucci und gelegentlich auch romantischen Spaziergängen in „Before Sunset“ ansehen, mit dem Unterschied, dass bei Gaspar Noé der gesellschaftspolitische Hintergrund ebenso fehlt wie das Interesse für eine Romanze. „If you fall in love, you’re the loser“ (Wenn Du Dich verliebst, hast Du verloren) lautet sein Credo, im Fall von Murphy und Electra und ihrer Amour Fou versucht er den Grad der Liebe, die beide füreinander hegen, über deren sexuelle Interaktionen darzulegen.
 
Ob es dazu 3D-Kameras brauchte, darüber lässt sich streiten, aber Lachen über einen einmal wie ein Schwert aus der Leinwand herausragenden Penis oder ein andermal lustig spritzendes Sperma muss man dann doch. Wie die Körper hingegen in den oft dunklen Schlafgemächern, gelegentlich auch auf obskuren Fluren oder beim Besuch einer Sado-Maso-Swingerclub-Hölle inszeniert und gefilmt sind, ist in fotografischer Hinsicht trotz aller bildinhaltlichen Vorbehalte erste Liga. Die immer wieder ausgiebigen Sexszenen bleiben von der eigentlichen Handlung jedoch isoliert und kommen einem mit der Zeit so vor, als verlange ein Süchtiger (das wären dann Noé und seine Figuren) nach immer mehr Stoff.
 
Dass Gaspar Noé, der selber auch einen Auftritt als Galerist hat und seinen Namen im Film auf andere Figuren selbstreferentiell überträgt, mit „Love“ der ultimative Liebesfilm gelungen ist, wie er selbst es sich vorgenommen hatte, darf dann aber doch bezweifelt werden. Sicher, er lotet Grenzen aus und hat ein gutes Händchen im Zusammenspiel von Bildern und ihrer akustischen Ausschmückung (auf dem Soundtrack vertreten sind unter anderem auch Eric Satie, Brian Eno und Pink Floyd). Indem er zuviel hinschaut, wo andere eher verschämt wegschauen, nimmt er seiner Geschichte aber auch die Magie. Weniger wäre da sicher mehr gewesen. Nur: provoziert hätte „Love“ dann wohl nicht mehr.
 
Thomas Volkmann