Mad Hot Ballroom

USA 2005
Dokumentarfilm von Marilyn Agrelo
Länge: 105 Min.
Verleih: X-Verleih
Start: 27.10.2005

Fast genau ein Jahr nach dem Start von RHYTHM IS IT, der zum Teil noch heute in unseren Kinos reüssiert, kommt nun ein Film, der sich anschicken könnte ein würdiger Nachfolger zu werden. MAD HOT BALLROOM erzählt von einem Projekt namens „Dancing Classrooms“ an dem in New York inzwischen 60 Schulklassen pro Jahr teilnehmen. Deren acht bis elfjährige Schüler werden von Tanzlehrern in Standardtänzen ausgebildet und treten zu einem großen Wettbewerb an.

In Zusammenarbeit mit der freien Journalistin Amy Sewell hat die amerikanische Regisseurin Marilyn Agrelo dieses Projekt in Bilder gefasst. Am Beispiel von drei Schulklassen aus drei unterschiedlichen Stadtteilen verfolgen wir die Ausbildung der Kinder in den Standardtänzen und ihr Abschneiden im sich anschließenden großen Schulwettbewerb. Dabei unterscheiden sich die Schulklassen aufgrund ihrer geografischen Lage insbesondere durch die Charaktere der Kinder.

So erweisen sich die Schüler der Public School in Tribeca, die in der Regel auf ein betuchtes Elternhaus zurückgreifen können durch Welt- und Wortgewandtheit, während die Kinder aus Brooklyn einfacher gestrickt sind und mit ihrer Aufrichtigkeit und Natürlichkeit überzeugen. Meist unter dem Existenzminimum leben die Kinder aus Washington Heights, die vorwiegend zu dominikanischen Einwandererfamilien gehören und denen trotz harter sozialer Umstände der Rhythmus im Blut liegt.

Alle diese Kinder werden von einem Tanzlehrer  des ‚American Ballroom Theaters’ und ihrem Sportlehrer in den Standardtänzen Foxtrott, Merengue, Swing, Rumba und Tango ausgebildet und in den abschließenden Wettbewerb geführt. Auch wenn der Film diese typisch amerikanische Wettbewerbs-Philosophie etwas überakzentuiert, wird der soziale Aspekt des Projektes schon im Anfangsstadium überdeutlich. Natürlich geht es darum, die Kinder von der Strasse zu holen und sinnvoll zu beschäftigen, doch das leistet auch ein normales Basketball-Turnier. Dass es hier jedoch um weit mehr geht, merkt man schon in der ersten Tanzstunde, wenn die Kinder ihre ersten zwischengeschlechtlichen Erfahrungen sammeln. So erweist sich die Aufforderung des Tanzlehrers, dem Partner konstant in die Augen zu schauen als beinahe unüberwindbares Hindernis. In Pausengesprächen wird deutlich, wie sich unter den Heranwachsenden das von Vorurteilen geprägte Bild vom anderen Geschlecht allmählich aufweicht. Dass bei dieser Gelegenheit Umgangsformen und Stilbewusstsein gelehrt werden ist eher ein Nebenprodukt des ganzen Projektes, dessen Stars aber immer die Kinder sind. Bei aller soziokulturellen Intention sind es die Kinder, die den Betrachter in ihren Bann ziehen, die begierig lernen, Neuigkeiten aufnehmen und die Erwachsenen zu imitieren versuchen, dabei aber peu á peu ihren eigenen Stil entwickeln und zu kleinen Persönlichkeiten heranreifen. Ein Prozess, der sich natürlich mit dem Näherkommen des Finales verstärkt, und am Ende gewinnt das tatsächlich das Vergnügen an der Musik und der eigenen Bewegung die Überhand.

Ein Funke, der sicherlich auf das Publikum übergreifen wird, die Zuschauer beschwingt aus dem Kino entlässt und das Bedürfnis, selbst das Tanzbein zu schwingen, wiedererwecken sollte.

Kalle Somnitz