Madame (2017)

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Mehr Satire als RomKom ist diese toll besetzte Cinderella-Geschichte rund um die Pariser Hausangestellte Maria. Sie wird unverhofft zum Gast einer piekfeinen Dinnerparty, was zahlreiche Verwicklungen nach sich zieht - inklusive Love Story. Rossy de Palma, bekannt aus vielen Almodovar-Filmen, spielt mit viel Herz die Maria. Toni Collette ist als ihre Chefin, die Madame, von exquisiter Gemeinheit. An ihrer Seite spielt Harvey Keitel einen Ehemann in heimlichen Geldnöten. Amanda Sthers (Drehbuch und Regie) hat das alte Motiv aufgepeppt und entkitscht. Das Ergebnis ist eine boshafte Parabel auf eine Gesellschaft, die sich nur nach außen liberal präsentiert.

Webseite: www.studiocanal.de

Frankreich 2017
Drehbuch und Regie: Amanda Sthers
Darsteller: Rossy de Palma, Toni Collette, Harvey Keitel, Michael Smiley, Brendan Patricks
90 Minuten
Verleih: STUDIOCANAL
Kinostart: 30.11.2017

FILMKRITIK:

Paris ist total angesagt – das wissen auch Bob und Anne, ein ziemlich hippes, älteres amerikanisches Society-Paar, das sich in einem schnieken Stadtpalais niedergelassen hat und gern Gäste empfängt, wobei weder Kosten noch Mühen gescheut werden. Doch, oh Schreck, der Tisch ist schon gedeckt und die Abstände von Tellern, Besteck und Gläsern sind fachkundigst bis auf den Millimeter ausgemessen, da erscheint als Überraschungsgast Bobs Sohn aus erster Ehe, ein hoffnungsfroher Jung-Autor, der sich einfach selbst einlädt. Nun säßen 13 bei Tisch – bekanntlich das Schlimmste, was einer Gastgeberin passieren kann. Da man niemanden rausschmeißen kann, muss also noch ein Gast her, und Anne entscheidet sich für Maria, das erfahrene Dienstmädchen mit den spanischen Wurzeln. Die ziert sich, kann aber der Überzeugungskraft von Madame nicht widerstehen. So wird Maria schließlich ausstaffiert, frisiert, geschminkt und mit Verhaltensregeln versorgt. „Nicht viel reden, nicht viel trinken …“ Doch kaum hat Maria Platz genommen und ein Gläschen Wein gekippt, wird sie zum Mittelpunkt des illustren Gästekreises, nicht nur mit schlüpfrigen Witzen, sondern generell mit Lebensfreude und natürlichem Charme. So erobert sie auch das Herz ihres Tischherrn, des liebenswert smarten und wohlhabenden Kunsthändlers David. Anne und Bob beobachten Marias Umtriebe mit Misstrauen. Dass David und Maria sich verliebt haben, passt Anne überhaupt nicht in den Kram. Ach ja: David weiß natürlich nicht, dass Maria ein Dienstmädchen ist – tatsächlich glaubt er seit dem Dinnerabend, Maria sei eine spanische Adlige, die ihr Inkognito pflegt. Da sind natürlich jede Menge Missverständnisse und Verwicklungen vorprogrammiert …
 
Da funkeln die geschliffenen Dialoge mit den Kristallgläsern um die Wette, die Pointen fliegen wie leckere Dessertbällchen hin und her. Aber wer nun denkt, dies sei eine der üblichen RomKoms mit der schon zu Beginn feststehenden positiven Antwort auf die Frage: Kriegen sie sich?, der hat sich gewaltig geirrt. Der jungen Regisseurin und Autorin Amanda Sthers, in Frankreich bereits durch ihre Bücher und Theaterstücke außerordentlich bekannt, gelingt es in ihrem zweiten Spielfilm, das Kinopublikum zu amüsieren, zu verblüffen und schließlich sogar ein bisschen vor den Kopf zu stoßen. Angelegt wie eine ganz normale romantische Komödie, entwickelt sich die Geschichte um Maria und ihren Traum von der großen Liebe mit mehreren kleinen Nebenhandlungen zunächst geradlinig in Richtung Happy End. Doch dann beginnt Amanda Sthers‘ Spiel mit den Zuschauern. Die kleinen Nebenhandlungen werden bedeutender, Bob entpuppt sich als künftiger Bankrotteur, Anne betrügt ihren Mann. Und langsam wird aus der turbulenten Komödie ein Drama, ein böses Spiel um Macht und Einfluss. Es geht immer noch um Maria und um ihren Wunsch nach Glück, aber die Hindernisse werden höher und die Verfolger werden hartnäckiger. Absolut köstlich ist eine Szene mit Anne und Bob im Auto, wie sie Maria und David beobachten, ihr eigenes Unglück im Kopf, aber voller Häme gegenüber den beiden Liebenden. Der sympathisch verknautschte Harvey Keitel als Bob hat sonst leider nicht viel zu tun. Er muss vor allem durch den Verkauf eines Bildes seinen Hals retten, und dafür braucht er David, dargestellt von Michael Smiley mit sehr viel britischem Charme. Rossy de Palma spielt ganz entzückend das Dienstmädchen mit dem goldenen Herzen als großzügige, liebenswerte Persönlichkeit. Toni Collette als Anne ist das genaue Gegenteil. In dieser Aschenputtel-Story schlägt sie, wenn’s um Gemeinheit geht, jede Märchenstiefmutter mit Leichtigkeit. Toni Collette spielt das arrogante Miststück mit Eleganz und einem stets liebenswürdig falschen Lächeln. So ganz herzlos ist sie nicht, aber es gibt nur sehr wenig in ihrem Leben, was sie bewegt. Die Fronten sind hier ganz klar: Auf der einen Seite steht die Gute – arm, würdevoll, liebenswert, auf der anderen Seite die Böse – reich und herzlos.
 
Amanda Sthers bietet viel: eine intelligente, pointenreiche Story mit Witz und geschliffenen Dialogen, traumhafte Settings und wunderbare Bilder aus Paris, dazu ein hübscher Soundtrack mit vorwiegend französischer Popmusik, aber sie verlangt mit ihrer Sozialkritik auch einiges von ihrem Publikum. Sie zeigt die Verlogenheit einer Gesellschaft, in der angeblich jede und jeder die gleichen Chancen hat. Doch in Wahrheit siegt das Geld über das Herz und der Standesdünkel über die Liebe. In ihrer messerscharfen Analyse der modernen Welt ähnelt Amanda Sthers‘ Stil dem von Yasmina Reza (u.  a. „Der Gott des Gemetzels“). Auch sie arbeitet mit Witz und Ironie, wenn sie ihren Mitmenschen den Spiegel vorhält. Und vielleicht ist sie in diesem Film etwas weniger radikal als Yasmina Reza, denn immerhin hat Amanda Sthers so etwas wie ein offenes Ende geschaffen, eine Art Do-it-yourself-Schluss, der zumindest einen Funken Hoffnung übrig lässt. Vielleicht ist die Welt doch nicht ganz so schlecht?
 
Gaby Sikorski