Mary Bauermeister – Eins plus Eins ist Drei

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Mary Bauermeister zählt zu den wegweisendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Mit ihren Prä-Fluxus-Aktionen und Avantgarde-Ausstellungen prägte sie zu Beginn der 60-Jahre eine ganze Künstlergenration. Es folgten langjährige Aufenthalte im Ausland, Erfolge in den USA aber auch private Schicksalsschläge. Die einnehmende Doku „Mary Bauermeister – Eins und eins ist drei“ kommt der Kunstschaffenden und Privatperson auf gleiche Weise nah. Und funktioniert als allgemeine Betrachtung über die Schönheit und Herausforderungen des Lebens ebenso gut wie als intimes, subtiles dokumentarisches Künstlerporträt.

Website: www.dejavu-film.de/aktuelle-filme/mary-bauermeister/

Dokumentarfilm
Deutschland 2020
Regie: Carmen Belaschk
Länge: 102 Minuten
Verleih: déjà vu
Kinostart: 2.9.2021

FILMKRITIK:

Sie zählt zu jenen Menschen, deren künstlerische Aktivitäten einen großen Einfluss auf die Fluxus-Bewegung hatten: Mary Bauermeister. Ursprünglich aus Frankfurt stammend, ließ sie sich nach Stationen in Ulm und Saarbrücken Mitte der 50er-Jahre in Köln nieder. Und schrieb dort ab März 1960 Kunstgeschichte. In einem Dachgeschoss-Atelier in der Kölner Lintgasse veranstaltete Bauermeister Lesungen, Konzerte und Ausstellungen.

Diese kulturellen, teils intermedialen Events im „Atelier Bauermeister“ zählten zu den ersten Prä-Fluxus-Veranstaltungen – und beeinflussten maßgeblich einige der später bekanntesten Fluxus-Vertreter, darunter Joseph Beys und John Cage. Mit Mitte 80 ist Bauermeister noch immer aktiv. In „Eins und eins ist drei“ gewährt sie einen Einblick in ihr Privatleben und ihre Arbeit.

Bauermeister und ihre Künstlerkolleg*innen brachen mit gängigen Konventionen in der Kunst und krempelten den Kunstbegriff einmal radikal auf links. „Der Begriff wurde zerstört und neu erfunden“, lautet eine Formulierung von Bauermeisters Sohn Simon, der in „Eins und eins ist drei“ zu Wort kommt. Diese Aussage lässt sich wunderbar auf die Wirkung sowie den Einfluss des „Ateliers Bauermeister“ und der dortigen Darbietungen übertragen.

Ton-Dokumente, Archivmaterial und Original-Fotografien aus der Zeit zeigen einige jener Künstlerpersönlichkeiten, die bei Bauermeister ein und aus gingen: der koreanische bildende Künstler Nam June Paik, Pianist David Tudor oder der Experimental- und Avantgardekünstler Karlheinz-Stockhausen, den Bauermeister später heiratete. Zusammen lebten sie mit Stockhausens Frau Doris in einer Dreiecksbeziehung. 1973 folgte die Scheidung. Gemeinsam hatte Bauermeister mit all ihren künstlerischen Weggefährten, dass sie allesamt, egal ob in der Musik, Literatur oder Kunst, Genregrenzen hinterfragten und den schöpferischen Prozess in den Mittelpunkt rückten. Der Prozess und die Idee waren wichtiger als das Werk – ein Grundprinzip der Fluxus-Bewegung.

Die Bedeutung für diese Kunstrichtung arbeitet der Film sorgfältig heraus und untermauert dies durch kluge Einordnungen sowie Bewertungen von Experten und Wegbegleitern. Darüber hinaus berücksichtigt er Bauermeisters Privatleben, ihre Erfolge in New York (in den USA gehört sie bis in die 70er-Jahre zu den populärsten Vertreterinnen der Kunst-Szene) und Schicksalsschläge. Darunter ein Brand in ihrem Atelier und ihre Krebsdiagnose.

Mit beschwingter Komik und einem entwaffnenden Sinn für Humor präsentiert sich die Porträtierte in ihrem Alltag, im Umgang mit anderen und im künstlerischen Austausch. Zu beobachten etwa bei einem Besuch einer exklusiven Ausstellung in ihrer alten Heimat New York. All dies fängt Regisseurin Carmen Belaschk unaufdringlich und unter respektvoller Wahrung der Distanz ein. Dennoch kommt sie der Künstlerin beachtenswert nah und entlockt ihr in den Gesprächssituationen immer wieder poetische Äußerungen und hintersinnige Reflexionen.

Zudem verfügt „Eins und eins ist drei“ über äußerst stimmungsvolle Augenblicke, die zum Verweilen und Innehalten einladen. Wenn Belaschks Kamera zum Beispiel voller Neugierde und Bewunderung einen Blick in Bauermeisters Arbeitsstätte wirft und ihre Werke in atmosphärischen Bildern präsentiert, während das (sonnen)lichtdurchflutete Atelier in jener Szene eine fast traumwandlerische Aura versprüht. Oder wenn man die intelligente, eloquente Visionärin und Vordenkerin der Avantgarde-Kunst in stillen Momenten am Strand oder beim Steine sammeln beobachten darf.

Björn Schneider