Meine Schwester, ihre Hochzeit und ich

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Mit zweijähriger Verspätung kommt nun auch „Meine Schwester, ihre Hochzeit und ich“ zu uns – ein geradezu typischer deutscher Titel, während das Original auf die Rede anspielt, die im Kopf der Hauptfigur herumschwirrt. Denn während sich Adrien noch nach seiner Freundin sehnt, die eine Pause machen will, fürchtet er die Rede, die er anlässlich der Hochzeit seiner Schwester halten muss. An dieser Angst lässt er den Zuschauer immer teilhaben – der Reiz des Films ist, dass die Hauptfigur beständig direkt zum Publikum spricht.

Webseite: https://one-filmverleih.de/LeDiscours

Le discours
Frankreich 2020
Regie: Laurent Tirard
Buch: Laurent Tirard
Darsteller: Benjamin Lavernhe, Sara Giraudeau, Julia Piaton

Länge: 87 Minuten
Verleih: One Filmverleih
Kinostart: 4. Mai 2023

FILMKRITIK:

Vor 38 Tagen sagte Sonia zu Adrien, dass sie eine Pause machen will. Eine Pause von der Beziehung. Das ist so, als würde man bei einem DVD-Player Pause drücken. Drückt man nochmal, geht es weiter. Es ist nicht die Stopp-Taste. Für Adrien fühlt es sich aber langsam so an. Er schreibt Sonia eine SMS und wartet auf Antwort, während er beim Essen mit seinen Eltern, seiner Schwester und deren Verlobten sitzt. Als der Verlobte ihn dann auch noch bittet, bei der Hochzeit eine Rede zu halten, wird alles noch komplizierter. Denn Adrien fürchtet, sich unendlich zu blamieren.

Im Jahr 2020 lief „Meine Schwester, ihre Hochzeit und ich“ auf einigen Festivals, im Jahr darauf debütierte der Film dann in Frankreich im Kino. Mit etwas Verzögerung gibt es ihn nun auch hierzulande. Angesichts der immensen Qualität des Films kann man sich nur fragen, wieso das so lange gedauert hat. Denn die Romanverfilmung ist ausgesprochen spritzig, rasant erzählt und wartet mit ein paar amüsanten Wendungen auf. Dass hier nicht alles streng nach Konvention verläuft, zeigt schon der Anfang.

Benjamin Lavernhe als Adrien steht vor einem Vorhang, er begrüßt das Publikum und dann zählt er noch auf, wer an diesem Film beteiligt war, bevor er gute Unterhaltung wünscht. Dann geht es in medias res, als Adrien verlassen wird. Adrien spricht ständig direkt zum Publikum. Während seine Familie am Esstisch diskutiert, erklärt er uns, wie das hier immer abläuft, wer was sagt und was von ihm erwartet wird: einfaches Abnicken. Denn in seiner Familie spricht man Probleme nie an, man geht über sie hinweg. Darum fühlt sich Adrien auch so allein. Getrennt von seiner großen Liebe, auf eine SMS hoffend, eine Rede fürchtend, umgeben von einer Familie, die drauflosschnattert.

Das ist auch wunderschön gefilmt. Dann, wenn alles um Adrien zum Stillstand kommt und er sein Herz dem Zuschauer ausschüttet. Oder wenn sein innerer Monolog dadurch illustriert wird, dass man ihn mit sich selbst reden hört. Das sind Momente, die man nachvollziehen kann. Er ist introvertiert und schüchtern, er fürchtet die Rede, aber ein Teil von ihm sagt ihm, dass das die große Chance ist, sich zu beweisen. Und Adrien kontert mit seiner Version, einer Blamage sondergleichen, die doch sehr viel realistischer anmutet.

Der Film ist immens schnell. Die Dialoge prallen nur so auf das Publikum ein, es kommt nie zum Leerlauf, auch wenn der Großteil des Films an einem Esstisch spielt. „Meine Schwester, ihre Hochzeit und ich“ ist eine echte, kleine Perle – ein Film, bei dem man aus dem Schmunzeln und Lachen nicht mehr rauskommt.

 

Peter Osteried