Mona Lisa and the Blood Moon

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In Zeiten, da die großen Hollywood-Studios einen effektgeladenen, inhaltlich aber risikoarmen Superheldenstreifen nach dem nächsten auf den Markt werfen, sind Filme wie Ana Lily Amirpours dritte Regiearbeit „Mona Lisa and the Blood Moon“ eine willkommene Abwechslung. Auch hier steht eine Figur im Zentrum, die übermenschliche Fähigkeiten besitzt. Ihre Geschichte folgt allerdings keinen ausgetretenen Pfaden, hechelt nicht sklavisch irgendwelchen Drehbuchmustern hinterher, sondern bekommt Zeit und Raum für ungewöhnliche, individuelle Momente. Auch wenn der Mix aus Fantasy, Horror, Märchen und humorig angehauchtem Emanzipationsdrama seine Schwächen hat, entsteht dank einer aufregenden audiovisuellen Gestaltung phasenweise ein echter Sog.

Webseite: https://www.weltkino.de/filme/mona-lisa-and-the-blood-moon

Regisseur: Ana Lily Amirpour
Drehbuch: Ana Lily Amirpour
Darsteller: Jeon Jong-seo, Kate Hudson, Evan Whitten, Ed Skrein, Craig Robinson, Lauren Bowles, Cory Roberts u. a.

Länge: 107 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Verleih/Vertrieb: Weltkino
Kinostart: 06.10.2022

FILMKRITIK:

Nach Jahren im Hochsicherheitstrakt einer Jugendpsychiatrie reißt der mit telekinetischen Kräften ausgestatteten Mona Lisa Lee („Burning“-Star Jeon Jong-seo in ihrer ersten englischsprachigen Rolle) der Geduldsfaden. In einer besonderen Vollmondnacht, in der der Erdtrabant blutrot leuchtet, nutzt die junge Frau ihre Gabe, um sich einen Weg nach draußen zu bahnen. Dank verzerrter Perspektiven und einer nah an die Figuren heranrückenden Kamera entsteht in den ersten Minuten ein durchdringendes Gefühl der Beklemmung, das die Lage der Protagonistin, ihr langes, offenbar demütigendes Eingesperrtsein, spiegelt.

Einmal in Freiheit schlägt sich die aus Nordkorea stammende Ausbrecherin in die verwunschene Südstaatenmetropole New Orleans durch, wo sie zunächst dem flippigen Fuzz (herrlich schräg: Ed Skrein) begegnet. Nur wenig später macht sie die Bekanntschaft der sich gerade so über Wasser haltenden Stripperin Bonnie (in ungewohnter Rolle: Kate Hudson), die in Mona Lisas übernatürlichen Fähigkeiten eine Chance sieht, rasch Geld zu machen und ihrem einfachen Leben zu entkommen. Während sie die Entflohene ausnutzt, baut diese ein vertrauensvolles Verhältnis zu Bonnies vernachlässigtem Sohn Charlie (Evan Whitten) auf. Parallel sucht ein Polizist (Craig Robinson) fieberhaft nach Mona Lisa, die ihn auf ihrer Flucht verletzt hat.

Wer Amirpours Erstling kennt, wird sich nicht groß wundern, dass der Plot von „Mona Lisa and the Blood Moon“ nicht allzu viel hergibt. Einmal mehr kommt es der Regisseurin vor allem darauf an, das Publikum in einen Stimmungszustand zu versetzen. Eine mystische Aura umweht den Film schon wegen des gelegentlich eingefangenen Blutmondes, der anfangs auch an eine Werwolf-Geschichte denken lässt. Hypnotische Qualitäten entwickelt Mona Lisas Reise spätestens mit dem Eintauchen in das Nachtleben von New Orleans, das in verführerischen Neonfarben erstrahlt. Pulsierende Technobeats verleihen vielen Szenen eine rauschhafte Note und laden manche Passagen – etwa im Finale – mit Spannung auf.

Statt die Handlung, wie es in Hollywood-Filmen üblich ist, konsequent voranzutreiben, eine Wendung auf die nächste folgen zu lassen, entschleunigt Amirpour das Geschehen, nimmt sich Zeit für Seitenblicke, kuriose Details. Eine nicht gerade kleine Rolle spielt in „Mona Lisa and the Blood Moon“ beispielsweise das Essen. Ständig wird etwas gemampft, wobei es die Ausbrecherin besonders auf Käsechips abgesehen hat.

Eindruck hinterlässt auch über den Ausbruch zu Beginn hinaus die Arbeit von Bildgestalter Pawel Pogorzelski, der Mona Lisas telekinetische Gabe optisch kraftvoll transportiert. Immer dann, wenn sie sich auf eine Person fokussiert, um dieser ihren Willen aufzuzwingen, geschieht dies in einer Kombination aus Zoom und Kamerafahrt, wie sie Alfred Hitchcock benutzte, um in „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“ die Schwindelanfälle des unter Höhenangst leidenden Protagonisten greifbar zu machen.

Thematisch packt die Regisseurin ihren Genremix hier und da ein bisschen zu voll. Dass toxische Männlichkeit in einer Selbstermächtigungsgeschichte ihren Platz bekommt, ist durchaus passend. Amirpour geht hier manchmal aber ein wenig plump zu Werke. Überexplizit wird es bei einer Begebenheit gegen Ende, die strukturellen Rassismus geißelt. Obwohl der Punkt, auf den die Filmemacherin abzielt, klar ist, unterstreicht sie ihn im Dialog noch einmal auf plakative Weise. Bedauerlicher als diese kleinen Mängel ist die insgesamt etwas skizzenhaft bleibende Charakterzeichnung. Mit Mona Lisa, die in der Psychiatrie gelitten hat, daher nach der Flucht ihre Freiheit rigoros verteidigt und in der Welt da draußen vieles überhaupt erst entdecken muss, hat der Film eine interessante Heldin. Bis zum Abspann kriegt man sie jedoch nie richtig zu fassen. Etwas konkreter hätte Amirpour schon werden können, zumal ihre eigenen Erfahrungen als in England geborene, dort und in den USA aufgewachsene Tochter iranischer Eltern Einfluss auf Mona Lisas Empfinden als Außenseiterin gehabt haben dürften. Sehenswert – das sollte man an dieser Stelle festhalten – ist „Mona Lisa and the Blood“ trotzdem, allein der kunstvoll erzeugten Atmosphäre wegen.

 

Christopher Diekhaus