„Tiere sind die besseren Menschen“ heißt es bisweilen. Was sich für manche etwas misanthropisch anhören mag, beinhaltet für andere eine tiefe Wahrheit. Zum Beispiel für Suchtpatienten, für die ihre Tiere ein unabdingbarer Teil ihres Lebens und Wohlbefinden ausmachen, wie Volker Meyer-Dabisch und Michael Christian Schulz in ihrem schönen, unabhängig produzierten Dokumentarfilm „Nicht ohne meine Tiere“ zeigen.
Dokumentarfilm
Deutschland
Regie & Buch: Volker Meyer-Dabisch & Michael Christian Schulz
Länge: 75 Minuten
Verleih: Karl Handke Filmproduktion
Kinostart: 28. November 2024
FILMKRITIK:
Als Teenagerin nach Berlin trampen, im durch Christiane F. und die Kinder vom Bahnhof Zoo bekannten Sound feiern gehen, mit Drogen in Kontakt kommen, erst rauchen, dann spritzen. Eine klassische 70er Jahre-Drogenkarriere, die Christina erlebte, eine der vier Protagonist*Innen von Volker Meyer-Dabisch und Michael Christian Schulz Dokumentarfilm „Nicht ohne meine Tiere.“ Auch Erfahrungen im Gefängnis hat Christina gemacht, lernte dort sogar Christiane F. kennen – und RAF-Terroristinnen der zweiten Generation.
Inzwischen ist Christina clean und lebt zusammen mit ihren zwei Hunden in Berlin. In der U-Bahn verkauft sie eine Obdachlosenzeitung und verbringt ansonsten viel Zeit mit ihren Tieren. So wie auch die aus Italien stammende Viola, die inzwischen einen Spitz besitzt, nachdem eine geliebte Katze verstarb. Ihr Gesicht will Viola nicht zeigen, ebenso wenig wie Claudia, die spezielle Tiere besitzt: Ratten. Auch sie erzählt aus dem Schutz der Anonymität über ihr Leben, ihre Suchtkarriere und vor allem ihr Verhältnis zu Tieren. Vierter im Bund ist Thomas, einst Mitglied einer Punk-Band und abhängig von Heroin.
Begegnet man Obdachlosen mit Tier in der Stadt, fragt man sich bisweilen, warum ein Tier so wichtig ist, schließlich kosten Tiere Geld und oft nicht zu knapp. Futter muss besorgt werden, Rechnungen beim Tierarzt können oft in dreistellige Bereiche gehen. Doch wie diverse Ärzte und Sozialarbeiter, die im Film zu Wort kommen, berichten, hält dieses finanzielle Hindernis kaum einen Obdachlosen oder Opiatabhängigen davon ab, ein Tier zu halten. Denn diese Menschen haben oft Gewalterfahrungen erlebt, sind oft von einem tief sitzenden Misstrauen in andere Menschen geplagt, haben kaum Möglichkeit auf menschliche Nähe, auf Körperkontakt. Dieses Bedürfnis erfüllen nun die Tiere, die so wichtig im Leben sind, dass sogar in Kauf genommen wird, nicht in Unterkünfte für Obdachlose hineingelassen zu werden, denn in diesen sind Tiere meist untersagt. Lieber mit Tier in der Kälte als ohne in der Wärme lautet die Entscheidung da meist, im Extremfall mit tödlichen Folgen.
Der Suchtmediziner Michael Christian Schulz veröffentlichte unter dem Titel „Die Bedeutung von Kumpantieren für Opioidabhängige in Substitutionstherapie“ eine Studie über dieses spezielle Verhältnis von Mensch und Tier, auf die der unabhängige Regisseur Volker Meyer-Dabisch aufmerksam wurde. Gemeinsam drehten sie den stilistisch unauffälligen, inhaltlich sehr interessanten, oft berührenden Dokumentarfilm „Nicht ohne meine Tiere.“
Immer wieder deuten die Protagonisten an, wie ihnen ihre Tiere in schwierigen Situationen zur Seite standen, wie sie der letzte Halt waren, der sie vor einem Rückfall bewahrte. Wenn es da um die Frage ging, sich einen Schuss zu setzen oder die Verantwortung für die Katze oder den Hund zu übernehmen, fiel die Wahl dann meist zum Glück für das Leben, das des Tieres und das Eigene.
Michael Meyns