No man of God

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Was macht Serienkiller für das Kino so faszinierend? Unzählige Filme wurden über Charles Manson, Jeffrey Dahmer oder Ted Bundy schon gedreht, ihre Taten aus allen Blickwinkeln beleuchtet, ihre Psyche analysiert. Grundsätzlich Neues kann Amber Sealey in ihrem Kammerspiel „No Man of God“ also nicht zeigen, doch zwei herausragende Darsteller machen auch diesen Blick in die Psyche eines Killers unangenehm einnehmend.

Website: https://www.centralfilm.de/

USA 2021
Regie: Amber Sealey
Buch: Kit Lesser
Darsteller: Elijah Wood, Luke Kirby, Aleksa Palladino, Christian Clemenson, W. Earl Brown, Gilbert Owuor
Länge: 100 Minuten
Verleih: Central Film
Kinostart: 23.9.2021

FILMKRITIK:

Muss man selber verrückt sein, um einen Verrückten zu verstehen? Und was, wenn es um das Verständnis von Taten geht, die eigentlich unvorstellbar sind? Muss man bereit sein, die Abgründe in seiner Seele zuzulassen, um psychopathischen Tätern auf die Spur zu kommen? Mit diesem Gedanken spielen seit Jahren Filme und Serien, in denen Profiler sich auf die Spur von Verbrechern begeben.

Der Urtext dieses inzwischen ausufernden Genres mag Thomas Harris 1981 erschienener Roman „Roter Drache“ gewesen sein, der erste Hannibal Lecter-Roman. Eine Inspiration waren Gespräche, die einer der ersten FBI-Profiler mit dem berühmt-berüchtigten Serienkiller Ted Bundy führte, der in den 70er Jahren mindestens 30 Frauen ermordete, 1979 verhaftet und zehn Jahre später auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurde. Schon in David Finchers Netflix-Serie „Mindhunters“ wurde das Verhältnis zwischen FBI-Profilern und Bundy (und anderen Serienkillern) thematisiert, „No Man of God“ konzentriert sich nun ganz auf die Gespräche zwischen FBI-Agent Bill Hagmaier (Elijah Wood) und Ted Bundy (Luke Kirby). Über weite Strecken bleibt der Film in den engen Räumen eines Verhörzimmers, zeigt nicht mehr als die Gespräche der beiden Männer, die beide studierte Psychologen sind und vielleicht noch mehr Gemeinsamkeiten haben.

Ende der 70er Jahre begann das FBI den Gedanken zu entwickeln, mit Hilfe von intensiven Gesprächen mit inhaftierten Serienkillern, Hinweise auf die Psyche und das Denken neuer Täter zu erlangen. Eine Profiling-Abteilung wurde gegründet, die mit den erstaunlich vielen Serienkillern sprach, die in den USA ihr Unwesen getrieben hatten. Schnell entstanden auch die ersten Filme über Serienkiller, denen es oft schwer viel, ihre Faszination mit den Taten ihrer Protagonisten zu verbergen. Selbst eine Figur wie Hannibal Lecter wurde im Kontrast zu den Killern, die zu fassen er half, fast sympathisch: Wer kann schon einem Chianti trinkenden Gourmet widerstehen?

Vor einem ähnlichen Problem steht auch „No Man of God“, zumal Luke Kirby Ted Bundy als klugen, selbstbewussten Mann spielt, der seine zahllosen Morde als geradezu rationale, notwendige Taten beschreibt. Ihm gegenüber agiert Elijah Wood als beruflich ambitionierter FBI-Agent, der gleichermaßen angezogen und abgestoßen von dem Sog ist, den Bundy auf ihn ausübt.

Ganz ähnlich ist das Verhältnis des Zuschauers zum Film, des distanzierten Beobachters eines Porträts einer Bestie, einer Bestie allerdings, die nur bedingt abstoßend wirkt. Auf dem schmalen Grat zwischen Distanzierung und Faszination bewegt sich Amber Sealey in „No Man of God“, und es ist nicht immer eindeutig, auf welcher Seite man sich befindet. Die Faszination des Kinos mit Serienkillern geht auch mit diesem Film weiter, eine Faszination, die längst selbst Sujet einer Analyse sein könnte.

Michael Meyns