Piripkura – Die Suche nach den Letzten ihres Volkes

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Hier dominieren starke Bilder - die Geschichte wird dagegen eher unspektakulär erzählt und bietet wenige, kaum aufbereitete Zusatzinformationen. Es geht um die letzten beiden Überlebenden eines Amazonas-Volkes, die alle paar Jahre aufgesucht werden müssen, damit sie weiter beschützt werden können. In Beobachtungen und mit teils improvisierten, teils situationsbedingt unzulänglichen Mitteln dokumentiert der Film die Reise durch den Regenwald und die Begegnung mit den Piripkura. Wer die nötige Ruhe mitbringt, wird sich vor allem an meditativen Dschungelbildern erfreuen können, bis es zum entscheidenden Zusammentreffen kommt. Danach wird der Film deutlich interessanter, dürfte aber trotz zahlreicher Festivalpreise wohl ein eher Nischenpublikum ansprechen.

Webseite: www.piripkura.de

Dokumentarfilm
Brasilien 2017
Regie: Mariana Oliva, Renata Terra, Bruno Jorge
Drehbuch: Mariana Oliva, Renata Terra
Kamera: Bruno Jorge, Dado Carlin
Originalmusik: Vitor Araújo
81 Minuten, OmU
Verleih: mindjazz pictures
Kinostart: 29. November 2018

FESTIVALS/PREISE:

Amsterdam Human Rights Award, 2017 (Internationaler Menschenrechtspreis)

Bester Dokumentarfilm, Rio de Janeiro Film Festival, 2017

Bester Internationaler Documentarfilm, Docville, 2017

FILMKRITIK:

Fast gleichzeitig kommen zwei Dokumentarfilme ins Kino, die von indigenen Völkern handeln und ein Publikum ansprechen, das sich für den Zusammenhang von Menschenrechten, kultureller Vielfalt und Ökologie interessiert: AN DEN RÄNDERN DER WELT führt quer über den Erdball zu den Bewohnern bedrohter Lebensräume. In PIRIPKURA geht es um einen einzigen Volksstamm, über dessen Geschichte und Kultur nur beiläufig informiert wird. Die Filmemacher Mariana Oliva, Renata Terra und Bruno Jorge suchen gemeinsam mit Jair Candor, dem Koordinator der brasilianischen Indigenenschutzbehörde FUNAI im Amazonas-Regenwald nach den letzten Überlebenden des Volks der Piripkura. Der Hintergrund: Um das Gebiet, das die Piripkura bewohnen, weiter vor dem Abholzen zu schützen, muss alle paar Jahre nachgewiesen werden, dass die beiden Männer noch leben. Dafür macht sich Jair Candor, ein freundlicher älterer Herr, höchstpersönlich mit einem kleinen Team auf den Weg in den Dschungel. Er kennt die Piripkura seit vielen Jahren, der eine ist der Onkel des anderen. Es gibt noch eine Verwandte: Rita. Sie begleitet die Expedition zu Beginn. Rita konnte ebenso wie ihr Bruder Pakyî und ihr Neffe Tamandua fliehen, als ihr Volk niedergemetzelt wurde. Seitdem lebt Rita in der Stadt, die beiden Männer blieben im Dschungel. Die Expedition bleibt erfolglos. Sechs Monate vor Ablauf des Landnutzungsverbots organisiert Jair Candor eine neue Expedition, bei der Rita nicht dabei ist. Diesmal kommt es zur Begegnung mit Pakyî und Tamandua: zwei kleine, drahtige, vollkommen nackte Männer. Jair Candor berichtet, dies sei das erste Mal, dass sie von sich aus gekommen seien. Möglicherweise sei ihr Feuer ausgegangen. Das Feuer ist eine Fackel, die seit 1998 ununterbrochen gebrannt hat, und stellt den einzigen Besitz der beiden dar. Es folgt ein Gesundheitscheck – sie sind beide topfit. Ihr Leben wird nicht von Krankheiten, sondern von Goldsuchern und andere Weißen bedroht. Die Kamera begleitet die Piripkura bei täglichen Verrichtungen, eine neue Fackel wird entzündet, dann lassen sich Pakyî und Tamandua mit T-Shirts und Unterhosen ausstatten und verschwinden wieder im Dschungel.
 
Wahrscheinlich situationsbedingt gibt es hier keine übliche Erzähldramaturgie. Da außer einigen Inserts kaum zusätzliche Informationen geliefert werden, bleiben vor allem die Bilder im Gedächtnis. Manches wird angekratzt, dass es wert gewesen wäre, vertieft zu werden. Rita berichtet von dem Überfall auf ihr Dorf, bei dem sie fliehen konnte, und von dem Mord an Frauen und Kindern, den sie mitansehen musste. Das ist sehr bewegend, doch man hätte gern mehr über das Alltagsleben der Piripkura, über ihre Sprache, ihre Rituale und ihre Kultur erfahren. Ein weiteres Beispiel: Jair Candor erzählt, dass er den Dschungel schon seit den 60er Jahren kennt. Damals waren die Weißen darauf aus, die indigene Bevölkerung entweder zu töten oder umzusiedeln. Man betrachtete sie als Tiere, mit denen man machen konnte, was man wollte. Jair Candor meint beiläufig, dass er seine Meinung geändert habe, doch das wird nicht thematisiert. Das Publikum kann sich, wie in einem Puzzlespiel, aus spärlichen Informationen selbst ein Bild zusammensetzen. Das ist für eine Kinodokumentation ungewöhnlich, denn schließlich sitzen nicht nur Ethnologen und Mitarbeiter von Menschenrechtsorganisationen im Publikum. Stattdessen gibt es herrliche Aufnahmen vom Dschungel, sehr viel Blattgrün und Nässe von unten und von oben. In ruhigen, manchmal meditativen Bildern werden Natur und Menschen gezeigt. Der Regenwald macht seinem Namen alle Ehre, die Geräusche des Dschungels sind aber auf Dauer ebenso ermüdend wie die schönen Naturaufnahmen. Erst wenn Tamandua und Pakyî auftauchen, kommt ein bisschen Spannung auf. Danach wird der Film deutlich interessanter, allerdings lässt ausgerechnet dann die Bildqualität zu wünschen übrig. Unscharfe und verwackelte Bilder zeigen, dass hier offenbar auch der Kameramann vom Kontakt zu den beiden Letzten ihres Volkes überwältigt war. Sprachprobleme erschweren zusätzlich das Miteinander. „Ma heißt, dass er dich nicht versteht“, weiß Jair Candor. Und da formt sich plötzlich eine Idee: Was, wenn diese beiden freundlichen Männer nur so tun, als ob sie die einzigen noch lebenden Piripkura wären und nichts verstünden? Vielleicht liegt mitten im Dschungel an einem der zahllosen Flussläufe ein friedliches Dorf … Abgesehen von diesen defaitistischen Gedanken, die eher Wunsch als Wirklichkeit sind, bleibt die schreckliche Erkenntnis, dass Tamandua und Pakyî am Ende in eine ungewisse Zukunft gehen und dass viele Menschen im Amazonas-Regenwald ihr Schicksal teilen.
 
Insgesamt führt der cineastische und inhaltliche Vergleich mit AN DEN RÄNDERN DER WELT zu einem eindeutigen Fazit: Markus Mauthe und seine Weltreise trifft sicherlich eher den Publikumsgeschmack. Trotz des großen persönlichen Einsatzes der jungen Filmemacher, die unter schwierigsten Bedingungen arbeiten mussten, und trotz der teils großartigen Bilder muss man PIRIPKURA wohl in die Kategorie „eher wichtig als gut“ einordnen.
 
Gaby Sikorski