Rock’n’Roll-Ringo

Mit Charme und entwaffnendem Humor erzählt „Rock’n’Roll Ringo“ von einem arbeitslosen Bauarbeiter, der als Amateurboxer auf dem Rummel groß rauskommen will. Fast ausschließlich im „Mikrokosmos Jahrmarkt“ angesiedelt, lebt der Mix aus lokaler Milieustudie, Ruhrpott-Komödie und Familiendrama von seinem exotischen Handlungsort und den schrägen Charakteren. Rotzig und derbe, dazu mit ordentlich Rheinland-Feeling garniert.

Deutschland 2023
Regie: Dominik Galizia
Buch: Dominik Galizia
Darsteller: Martin Rohde, Larissa Sirah Herden,
Peter Trabner, Margarethe Tiesel

Verleih: UCM.One
Länge: 100 Minuten
Kinostart: 05. September 2024

FILMKRITIK:

Gerüstbauer Ringo Fleisch (Martin Rohde) wird nicht gerade vom Glück verfolgt. Seine Ex-Frau wirft ihm vor, er würde sich nicht genug um die gemeinsame Tochter Mia (Tuba Seese) kümmern. Und dann verliert er auch noch seinen Job. Also versucht er sein Glück als Aushilfskraft auf der Kirmes, doch das tägliche Abreißen der Eintrittskarten langweilt ihn schon bald. Durch Zufall wird er dort als Boxer entdeckt und sieht darin seine große Chance gekommen. Immerhin braucht er dringend Geld, um der gehörlosen Mia einen ersehnten Wunsch zu erfüllen.
Dominik Galizia erkundet in seinem dritten Spielfilm die Welt der rheinischen Schausteller und Budenbesitzer und lässt seine Hauptfigur tief in diesen Mikrokosmos eintauchen. Ringo ist ein netter, unauffälliger Typ aus Herne. Ein wortkarger und immer etwas traurig dreinblickender Sympathieträger, der sein Feierabendbier in der Nachbarkneipe am liebsten schweigend genießt. In jedem Fall ist er ein Stehaufmännchen, selbst wenn er in der Volksfest-Boxbude „Fight Club“ auf die Bretter geht. Martin Rohde spielt diesen bodenständigen, ehrlichen Ruhrpottler mit einer angenehmen und zur Figur passenden Zurückhaltung.
Mit unerschütterlicher Hingabe widmet sich Ringo seiner neuen Berufung als Amateurboxer, immerhin glauben die Budenbesitzer an ihn. Anerkennung erfährt er vor allem vom „Fight Club“-Chef, seinem Mentor und Trainer Charly Schultz – einer der wichtigsten Charaktere im Film. Und einer der witzigsten. Ex-Boxer Schultz, der 1979 einen Vorkampf vor Muhammad Ali bestritt, spielt sich selbst. Ein echtes Kirmes-Original, mit rheinländischer Schnauze ausgestattet und mit reichlich Empathie für seine (erfolgreichen) Boxer gesegnet.
Klar, die Story von „Rock’n’Roll-Ringo“ ist nicht komplex, der Handlungsverlauf wenig überraschend. Hinzu kommen einige ins Leere laufende Nebenhandlungen, darunter die nur angedeutete Liebesbeziehung zwischen Ringo und seiner weiblichen Jahrmarkt-Bekanntschaft. Auch die Actionelemente im letzten Drittel wollen sich nicht so recht in den Gesamtkontext einfügen, sie wirken deplatziert. Doch der Reiz ergibt sich aus dem rauen Charme, den der Film versprüht. Verantwortlich dafür sind die kernigen, aber liebenswürdigen Figuren, deren derbe Sprüche und die Authentizität, auf die Galizia setzt. Er besetzte viele (Neben-)Rollen mit Laiendarstellern und echten „Protagonisten“ der Jahrmärkte, die sich an den Originaldrehorten, der Düsseldorfer Rheinkirmes und der Cranger Kirmes in Herne, in großer Zahl fanden.
Daneben tauchen namhafte Darsteller und gestandene Schauspieler der Kino-, TV- und Theaterszene auf, die in ihren Rollen überraschen – weil man sie nie darin erwartet hätte. Galizia beweist ein fantastisches Gespür für mutige Rollenbesetzungen, wenn wir Peter Trabner plötzlich als warmherzigen Clown und Erwin Leder („Das Boot“) als mitfühlenden Jahrmarkts-Pfarrer und -Seelsorger Petrus sehen. Leder spielt mit subtilem Witz sowie leiser Ironie und in einer zentralen Szene in Ringos Stammkneipe offenbart sich seine wahre Großherzigkeit.
Gelungen sind die vielen anderen kleinen Einfälle und kreativen Ideen, die „Rock’n’Roll-Ringo“ so sympathisch machen. Dazu zählt der gänzlich wertfreie Off-Erzähler, der in Reimform durch die Geschehnisse führt und dem Film die Aura eines modernen Ruhrpott-Rummel-Märchens verleiht. Oder wenn sich Ringo in pathetischen Bildern und ganz in Rocky-Balboa-Manier auf seine ersten Einsätze im Ring vorbereitet – nur dass Ringo nicht auf Schweinehälften boxt, sondern schon frühmorgens riesige Traktor-Reifen über die Gehwege des menschenleeren Rummels wuchtet.

Björn Schneider