Schattenväter

Deutschland 2005, 93 Minuten
Regie/Drehbuch: Doris Metz
Kamera: Sophie Mainigneux
Schnitt: Gaby Kull-Neujahr
Musik: Markus Stockhausen
Verleih: movienet film
Länge: 93 Min.
Filmstart: 10. November 2005

Willy Brandt und Günter Guillaume, die Hauptfiguren der Spionageaffäre von 1974, sind im Film von Doris Metz die „Schattenväter“. Ihr Leben fand in der politischen Sphäre statt, für ihre Söhne waren sie ferne und doch vertraute Gestalten. Der Film schildert eindrucksvoll, wie sich der politische Skandal auf die Söhne von Brandt und Guillaume ausgewirkt hat. In eindringlichen, aber nie aufdringlichen Interviews kommen hier die Söhne zu Wort.

„Schattenväter“ ist ein Dokumentarfilm, der mit der gewohnten Sicht auf die Dinge, auf Gestalten der Weltpolitik und ihre Mythen bricht und die Perspektive darauf verrückt. Denn Regisseurin Doris Metz interessiert sich weniger für politische Mythen, sondern für die Menschen dahinter. 90 Minuten lang sehen wir zwei Protagonisten der jüngsten politischen Vergangenheit Deutschlands aus der Sicht ihrer erwachsenen Söhne, und in den besten Momenten des Films – immer dann, wenn die Erinnerung die Gegenwart überlagert – nehmen wir sie mit Kinderaugen wahr. Doris Metz arbeitet hier viel mit Parallelmontagen: Auf der einen Seite der Sohn des Bundeskanzlers Willy Brandt, auf der anderen Seite der Sohn von Günter Guillaume, eben jenem Mannes der den SPD-Kanzler im Frühjahr 1974 zu Fall brachte. An diese Annäherung an das „Menschliche“ der beiden Interviewten und ihre Erinnerungen lagern sich Zeitkolorit, Denkweisen, Einsichten in Haltungen, die zu Handlungen wurden, an. So erfährt man sehr viel über die Bundesrepublik, ganz unauffällig manchmal, an den Rändern. Durch eine kluge Montage gelingt es Doris Metz und Cutterin Gaby Kull-Neujahr falsche Sentimentalitäten zu vermeiden. Einsprengsel von Nachrichtenfilmen etwa bringen die Aussagen der Hinterbliebenen in eine zeitgeschichtliche Balance.

Spannend ist „Schattenväter“ auch deshalb, weil er kunstvoll mit der Überblendung von Politischem und Privatem spielt. Mit jedem Schnitt, mit jedem Erinnerungspuzzle wird das Thema Täter und Opfer durch das Thema Väter und Söhne ersetzt. Indem er Lebenslinien nachzuzeichnen versucht, will der Film Missverständnisse offen legen und – auch wenn die Formulierung abgegriffen klingt, hier ist sie einmal angebracht – den Prozess der Trauerarbeit begleiten. Wut aber gehört zu den Gefühlen, die die Söhne der „Schattenväter“ erstaunlicherweise zuallerletzt thematisieren. „Schattenväter“ will nur verstehen, aber dieses Verstehen bedeutet in erster Linie Zu-Wort-kommen-Lassen.

Ralph Winkle