Sick of Myself

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Eine Non RomCom – eine unromantische romantische Komödie. Mit seinem Kinodebüt sorgte Kristoffer Borgli in Cannes für ordentlich Furore. Die boshafte, manchmal zynische Geschichte von der jungen, hübschen Signe, die ihr Äußeres zerstört, um Beachtung zu finden, ist nicht nur eine weitere gelungene skandinavische Komödie mit Horrortouch und einem nicht immer angenehmen Humor, die manchmal an Ruben Östlund erinnert, sondern auch eine durchaus ernsthafte Geschichte. Da geht es zentral um den Narzissmus als zeittypische Erscheinung und um die Grenzen zwischen Originalität, Selbstverliebtheit und Persönlichkeitsstörung. Borgli pikt mit dem Zeigefinger direkt dorthin, wo es wehtut oder wo es kitzelt, und das auch noch manchmal gleichzeitig. Dabei teilt er ordentlich in alle möglichen Richtungen aus.

Norwegen 2022
Drehbuch und Regie: Kristoffer Borgli
Darsteller: Kristine Kujath Thorp, Eirik Sæther, Fanny Vaager, Fredrik Stenberg Ditlev-Simonsen, Sarah Francesca Brænne, Ingrid Vollan
Kamera: Benjamin Loeb

Länge: 95 Minuten
Verleih: MFA+ Filmdistribution
Kinostart: 23. März 2023

FILMKRITIK:

Thomas (Eirik Sæther) ist ein Künstler. Seine Masche: Er klaut hochwertige Sessel und Stühle, um sie zu Kunstwerken zu verarbeiten. Generell ist seine Einstellung zum Eigentumsbegriff eher lax, um es freundlich auszudrücken. Er prellt auch gern mal die Zeche im Luxusrestaurant oder lässt eine teure Flasche aus dem Weinladen mitgehen, um hinterher auf Partys damit anzugeben. Seine Freundin Signe (Kristine Kujath Thorp) fungiert dabei als Komplizin bei den kleinen Coups, die im Freundeskreis auf Beifall und Bewunderung stoßen. Gerade steht Thomas vor dem künstlerischen Durchbruch, er hat immer mehr Erfolg mit seinen großformatigen Objekten, doch Signe kann sich nicht darüber freuen. Im Gegenteil: Sie ist eifersüchtig und hat Probleme damit, dass er im Mittelpunkt steht und sie außen vor bleibt. Ein Zwischenfall in dem Café, wo sie arbeitet, bringt nur kurzzeitig eine kleine Veränderung zum Besseren: Signe hilft einer verletzten Frau, die blutüberströmt im Café auftaucht. Endlich hat sie auch mal wieder was zu erzählen, womit sie sich profilieren kann. Um Thomas langfristig zu übertrumpfen, muss sie sich schon ein bisschen mehr einfallen lassen. Sie organisiert sich ein nicht zugelassenes Medikament mit nachgewiesenermaßen hochgefährlichen Nebenwirkungen und nimmt die Tabletten gleich packungsweise; sicher ist sicher. Damit setzt sie eine Entwicklung in Gang, mit der sie alle Grenzen überschreitet.

Zwei Narzissten – ein Gedanke. Wer gewinnt das Spiel um die Aufmerksamkeit? Kristoffer Borgli macht aus der Beziehung zwischen Thomas und Signe die Grundlage für eine unbequeme NonRomCom, eine wahrhaft unromantische Komödie mit einem Touch von Horror, die in ihrer satirischen Wirkung manchmal an Ruben Östlund erinnert, manchmal aber auch an andere skandinavische Filme der letzten Jahre, besonders was den ausgeprägten schwarzen Humor betrifft. Das ist dann alles andere als kuschelig. Kristoffer Borgli spielt nicht nur mit Horror- und Thrillerelementen, aber er zeigt schon in seinem Kinodebüt die ausgeprägte Neigung, eine extreme Geschichte wie das Prinzip vom Narzissmus als Karrierebooster schonungslos bis zum Ende zu denken. Das ist dann manchmal ein boshafter, bitterer Humor, bei dem einem das Lachen schon mal im Halse stecken bleiben kann.

Borgli schreibt über das, was er kennt und was er aufs Korn nimmt: das urbane Milieu gut ausgebildeter, intelligenter und medial vernetzter junger Leute, die sich vermutlich mittlerweile überall auf der Welt ähneln. Alle wollen interessant sein, alle wollen wichtig sein und buhlen um die Aufmerksamkeit von anderen. Thomas und Signe gehören dazu. Ihre Beziehung könnte man toxisch nennen oder auch konkurrierend. Thomas hat es da leichter als Signe, nicht nur, weil er ein Mann ist, sondern weil er sich durch seine Arbeit mehr profilieren kann. Eirik Sæther, auch im wahren Leben ein bildender Künstler, ist als Thomas in seiner ersten Filmrolle ein ziemlich unsympathischer Arroganzling, der mit seinen Angebereien zwar unangenehm auffällt, aber immerhin für Unterhaltung sorgt. Mit seiner eher dubiosen künstlerischen Betätigung wird er immer bekannter, und das scheint sein Ziel zu sein, nicht unbedingt die Arbeit an sich. Thomas und Signe leben in einer Wohnung, die – hübsches Detail – vollgestopft ist mit vermutlich gestohlenen Sitzmöbeln. Zu Beginn scheint es, als ob Signe von Thomas dominiert wird und darunter leidet, dass er sich auf ihre Kosten profiliert. Auf diese Weise schafft Borgli zunächst einmal Sympathie für die Zukurzgekommene. Kristine Kujath Thorp („Ninjababy“) spielt die Signe absolut perfekt: Sie gibt sich anfangs bescheiden und zurückhaltend, nach außen ist sie für Thomas eine gute Gefährtin, eine, mit der man buchstäblich Pferde (oder Weinflaschen) stehlen kann. Doch in ihren Fantasien und Träumen zeigt sie, dass es ihr um deutlich mehr geht – um Fame: Da ist sie berühmt, von allen verehrt, und Thomas hat nix mehr zu melden. Diese Träume werden anfangs beinahe spielerisch eingeflochten, doch sie geraten immer extremer und gewinnen dabei an Kraft und Komik. Immer mehr zeigt sie ihr wahres Gesicht, das sich durch die Nebenwirkung der Medikamente grausam verändert – kleiner Zynismus am Rande. Doch endlich steht sie im Mittelpunkt und genießt die Aufmerksamkeit, von der sie nicht genug bekommen kann. Kristine Kujath Thorp gelingt es, die Signe vollkommen glaubwürdig darzustellen. Und das ist schon eine ziemlich bizarre Geschichte: Eine Narzisstin zerstört ihr Äußeres, um beachtet zu werden? Doch bei längerem Nachdenken wird die Story immer weniger abwegig. Kennt man sie nicht selbst, die Leute, die sich mit ihren Krankheiten interessant machen wollen? Gab es da nicht diesen C-Promi, der sein Gesicht durch Schönheits-OPs entstellt hat und nun damit Kasse macht? Aber was liegt unter der Oberfläche einer oberflächlichen Persönlichkeit? Die hoch begabte Kristine Kujath Thorp macht aus der eigentlich gruseligen, aber durchaus gesellschaftskritischen Geschichte um Signe eine doppelbödige Identitätssuche.

Borgli scheut nicht davor zurück, Grenzen zu überschreiten, auch gelegentlich die des guten Geschmacks, doch insgesamt betrachtet ist sein Film alles andere als eine Horrorkomödie, sondern als Non RomCom auch ein sehr gut gemachtes, hintergründig witziges Gesellschaftsdrama. Auf klare Statements kann er verzichten, seine boshafte Komödie enthält genug intelligent verpackte Gesellschaftskritik, da muss nichts verteufelt werden, weder Soziale Medien noch Moderne Kunst oder die allgemeine Kommerzialisierung, sogar wenn es um sensible Themen wie Diversität geht. Im Mittelpunkt steht jedoch die teuflische Dynamik eines Wettstreits zwischen zwei Menschen, in dem nur der Sieg zählt.

 

Gaby Sikorski