Song For My Mother

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Die Geschichte spielt in den Neunzigerjahren, aber durch die gegenwärtige politische Entwicklung in der Türkei erhält sie eine traurige Brisanz: In seinem Regie-Debüt erzählt der kurdische Regisseur Erol Mintas davon, wie eine kurdische Mutter und ihr erwachsener Sohn unter dem Exil und der feindseligen Atmosphäre in Istanbul leiden. Die Produktion wurde bei Festivals in Sarajevo und Antalya ausgezeichnet.

Webseite: www.tamam-film.com

OT:„Klama Dayika Min“ 
Türkei, Frankreich, Deutschland 2014
Regie und Buch: Erol Mintas
Darsteller: Feyyaz Duman, Zubeyde Ronahi, Nesrin Cavadzade
Länge: 103 Minuten
Verleih: Tamam Film
Kinostart: 9. Juni 2016
 

FILMKRITIK:

Zu Beginn der 1990er-Jahre konnte es in der Türkei lebenden Kurden passieren, dass sie von der Geheimpolizei verhaftet wurden, weil sie es gewagt hatten, in ihrer eigenen Sprache zu sprechen. Dieses Schicksal widerfährt dem jungen Lehrer Ali (Feyyaz Duman), der seinen Schülern kurdisch beibringt. Einige Jahre später lebt er mit seiner alten Mutter Nigar (Zubeyde Ronahi) in Istanbul. Weil die Mieten steigen, sind sie gezwungen, ihr kurdisch geprägtes Viertel zu verlassen und in einen gesichtslosen Wohnturm am Rand der Millionenstadt zu ziehen. Besonders Nigar leidet darunter. Sie kann es nicht ertragen, den ganzen Tag allein in der Wohnung zu verbringen, ohne ihre Freunde und Nachbarn. Sie sehnt sich nach ihrer Heimat und kündigt Ali immer wieder an, sich allein auf den Weg dorthin zu machen. Der verzweifelt zunehmend ob des Starrsinns seiner Mutter. Auch sein eigenes Leben bekommt er nicht in den Griff: Seine Freundin Zeynep (Nesrin Cavadzade) ist schwanger, aber Ali fällt es schwer, sich auf seine Rolle als werdender Vater einzulassen. 
 
Der Konflikt zwischen Kurden und Türken ist auch ein Krieg der Worte. Das zeigt Regisseur Erol Mintas deutlich in seinem Regie-Debüt „Song for my Mother“. Immer wieder wechseln die Figuren an bedeutsamen Stellen vom Kurdischen ins Türkische und zurück. Mit seiner Freundin, einer assimilierten Kurdin, spricht Ali nur türkisch, mit seiner Mutter nur kurdisch. Überhaupt verhandelt Mintas Fragen nach Herkunft, Kultur und Identität anhand einer genauen Beobachtung des Alltäglichen. 
 
Selten verdichtet er Szenen auf dramatische Höhepunkte, meist ist er mit seiner Kamera zwar nah am Geschehen, bleibt aber dennoch reservierter Beobachter. Auf diese Weise muss der Zuschauer selbst Leerstellen ausfüllen und versuchen, kulturelle Codes zu entschlüsseln. Genau in dieser Offenheit der Inszenierung aber liegt der Reiz von „Song for my Mother“. 
 
So drücken sich auch die Themen des Films mit berückender Beiläufigkeit aus. Der Titel etwa bezieht sich auf Alis verzweifelte Suche nach einer Kassette mit Aufnahmen eines kurdischen Sängers, die seine Mutter sich wünscht. Aber es will ihm einfach nicht gelingen, sie aufzutreiben. Für die Sehnsucht nach kultureller Zugehörigkeit im Exil findet Mintas immer wieder solche in ihrer Einfachheit ausdrucksstarken Bilder. Dazu gehört auch die Geschichte, die Ali seinen Schülern am Anfang und Ende des Films erzählt und die die kurdische Tradition des Geschichtenerzählens selbst reflektiert. 
 
Nur an zwei Stellen werden die Repressionen der Türkei gegen Kurden offensichtlich. Ansonsten drückt sich die Erfahrung des zwangsweisen Exils und des Verlusts kultureller Wurzeln in einem Schweigen aus, das zwischen den Bildern liegt. Besonders die Laiendarstellerin der Nigar macht mit ihrem großartig naturalistischen Spiel deutlich, welchen Schmerz sie in ihrem Inneren vergräbt, als sie ein zweites Mal gezwungen wird, eine eine fremde Umgebung zu ziehen. „Song for My Mother“ rückt auf diese Weise jene Kurden in den Mittelpunkt, die still unter dem Schicksal ihres Volkes leiden. Eindrucksvoll zeigt der Film die Würde derer, die keine großen Worte machen.  
 
Oliver Kaever