Spirit in the Blood

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Im Wald geht ein Monster um. Das glauben zumindest Emerson und ihre neuen Freundinnen. Aber gibt es ein solches Monster wirklich, oder drohen die Mädchen nicht, zu dem zu werden, was sie fürchten? Carly May Borgstroms Langfilmdebüt ist eine Mixtur aus sanftem Horror und Coming-of-Age-Geschichte vor dem Hintergrund einer repressiven, erzreligiös geprägten Gemeinde.

Website: www.weltkino.de/filme/spirit-in-the-blood

Spirit in the Blood
Deutschland / Kanada 2023
Regie: Carly May Borgstrom
Buch: Carly May Borgstrom
Darsteller: Summer H. Howell, Sarah-Maxine Racicot, Michael Wittenborn, Greg Bryk, Ariadne Deibert, Sarah Abbott, Lyla Elliot, Michelle Monteith
Länge: 98 Minuten
Verleih: Weltkino
Kinostart: 7. November 2024

FILMKRITIK:

Die 15-jährige Emmerson zieht mit ihren Eltern in eine kleine kanadische Stadt, die nicht nur irgendwo im Nirgendwo liegt, sondern deren Bewohner auch ausgesprochen religiös sind. Ein Mädchen war verschwunden, wird dann jedoch tot aufgefunden. Die Einwohner gehen von einer Raubtierattacke aus, aber Emmerson ist sich sicher, im Wald ein Monster gesehen zu haben. Ihre Freundin Delilah glaubt ihr, bald auch andere. Die Mädchen wollen dem Monster nicht nur begegnen, sondern es besiegen, mit selbst erfundenen Ritualen, die ihnen das Selbstvertrauen geben, nicht nur dem (imaginären?) Monster entgegenzutreten, sondern sich auch gegenüber Gleichaltrigen auf eine Art zu benehmen, die eskalierend ist.

„Spirit in the Blood“, der zuvor „Desire of the Prey“ hieß, ist kein Horrorfilm im eigentlichen Sinne. Selbst der Begriff des „elevated horror“, der für Genrefilme, die mehr in Richtung Drama gehen, genutzt wird, greift nicht ganz. Eher schon ist dies ein Coming-of-Age-Film, der die Angst vor dem Monster metaphorisch nutzt. Als Angst vor der eigenen Veränderung, dem Übergang von Jugendlichen zur Erwachsenen und die damit einhergehenden Herausforderungen. Ein Film wie „Ginger Snaps“ hat das oberflächlicher aufgegriffen, „When Animals Dream“ denkt das Konzept im Rahmen echten Horrors weiter. Carly May Borgstroms Debütfilm ist jedoch ein gänzlich anderes Biest.

Ein Film darüber, wie junge Menschen gegen ein restriktives Korsett aufbegehren, zugleich geht es aber auch um eine Form der Selbstbemächtigung, über das Ausbrechen aus einem patriarchalischen System. Das geht so weit, dass die Protagonistinnen absolut vom Monster im Wald überzeugt sind. Es eine Form von Folie à deux, die sich auf immer mehr Personen erstreckt, eine Art von Massenpsychose, der nichts gegenübersteht, als der hilflose Versuch der Gesellschaft, mit Beten etwas zu bewirken. Und wenn das nicht reicht, dann gibt es immer noch die Einweisung in eine Psychiatrie.

Der Horror von „Spirit in the Blood“ ergibt sich nicht aus einem aus dem Ruder laufenden Spiel, dem die Mädchen immer mehr anhängen, sondern aus einem Generationenkonflikt, bei dem die Alten die Jungen nicht mehr verstehen und praktisch durchgreifen, um den Status Quo zu wahren. Alles soll bleiben, wie es immer war.

Man kann viel in „Spirit in the Blood“ hineinlesen, das ist die Stärke des Films. Inszenatorisch wirkt er allenfalls solide, es sind jedoch die beiden Hauptdarstellerinnen, die den Film tragen und ihm eine Form von Authentizität verleihen. Die bewusst zurückhaltende Erzählweise wird aber wohl bewirken, dass der in Teilen mit der Bildsprache von Märchen arbeitende Film es im Kino nicht leichthaben wird – weil er die verschiedenen Genres nur streift.

Borgstrom denkt ihre Geschichte aber konsequent zu Ende. Einem Ende, das weit jenseits alles Übernatürlichen liegt, weil die wahren Monster immer noch Menschen sind. Aber wer auszieht, um Monster zu besiegen, der wird nicht zum Opfer – zumindest nicht ohne Gegenwehr.

Peter Osteried