Die Dokumentarfilmerin Eliza Kubarska, selbst eine ausgezeichnete Bergsteigerin, porträtiert in „The Last Expedition“ die Ausnahme-Alpinistin Wanda Rutkiewicz, die 1992 beim Versuch, den Kangchendzönga, den dritthöchsten Berg der Welt, zu bezwingen, spurlos verschwand. In ihrer sehenswerten Dokumentation setzt sich Eliza Kubarska auf die Spur der polnischen Bergsteigerlegende und reicht ihre Faszination für die Berge an das Publikum weiter.
Sir Edmond Hillary, der gemeinsam mit seinem Sherpa Tenzing Norgay als erster Mensch auf den Gipfel des Mount Everest geklettert ist, hat einmal auf die Frage, warum er auf hohe Berge steigt, lapidar geantwortet: „Weil sie da sind.“ Und diese Antwort könnte auch zu Wanda Rutkiewicz passen.
Webseite: https://riseandshine-cinema.de/portfolio/the-last-expedition/
Polen, Schweiz 2024
Regie: Eliza Kubarska
Drehbuch: Eliza Kubarska
Mitwirkende: Wanda Rutkiewicz, Reinhold Messner, Krzysztof Wielicki, Carlos Carsolio, Janina Fies, Marion Feik
Kamera: Marchin Sauter, Piotr Rosołowski und Małgorzata Szyłak
Musik: Marcel Vaid
Länge 86 Minuten
Verleih: Rise and Shine Cinema
Start: 30.01.2025
Wanda Rutkiewicz war erst 49 Jahre alt, als sie beim Versuch, den Kangchendzönga, zu bezwingen, spurlos verschwand. Dennoch hatte sie schon mehr erreicht als jede Bergsteigerin vor ihr. Sie hatte acht Achttausender bestiegen und als erste Frau überhaupt die Eiger-Nordwand im Winter gemeistert. Trotzdem musste sie während ihrer langen und durchaus glanzvollen Karriere immer wieder um Anerkennung in der männlichen dominierten Welt des Alpinismus kämpfen. Dieser Kampf um Respekt, der einer Ausnahme-Athletin auf Grund ihrer Leistungen eigentlich selbstverständlich entgegengebracht werden sollte, ist einer der thematischen Schwerpunkte in Eliza Kubarskas Film.
Ein anderer ist die Spurensuche rund um Wanda Rutkiewiczs Verschwinden, die ebenso breiten Raum einnimmt. Zu diesem Zweck reiste Eliza Kubarska auf Recherche-Tour in den Himalaya und auf abenteuerlichen Wegen in die entlegensten Täler, um mit Sherpas und Yak-Hirten zu sprechen und ihnen Fotos von Wanda Rutkiewicz zu zeigen. Zudem hat sie mit Zeitzeugen, Freunden und Weggefährten Wandas gesprochen, u. a. mit Reinhold Messner, Krzysztof Wielicki und mit Carlos Carsolio, dem letzten Menschen, der sie lebend gesehen hat.
Die Aussagen, die sie sie eingefangen hat, sind zumindest interessant, lassen aber auch viele Fragen offen. Wer war die Frau, die zum passenden Zeitpunkt in einem abgelegenen Tal gesehen wurde? Wollte Wanda vielleicht Zuflucht und Frieden in einem abgeschiedenen Kloster finden? Was wirklich geschehen ist, wird wohl immer ein Rätsel bleiben.
Das gilt auch für die Persönlichkeit der Bergsteigerin Wanda Rutkiewicz, die auch nach ihrem Verschwinden rätselhaft bleibt. Es scheint, als ob Eliza Kubarska es darauf angelegt hat, die Bergsteigerinnen-Ikone als die schwierige, widersprüchliche und geheimnisvolle Frau zu präsentieren, die sie tatsächlich war. Und genau das macht Eliza Kubarskas großen Verdienst aus, die aus ihrer großen Bewunderung für Wanda keine Sekunde lang einen Hehl macht.
So setzt sie sich dann auch intensiv mit der Faszination der Berge auseinander. Was hat Wanda Rutkiewicz (und sie selbst gleich mit) dazu gebracht, in eiskalter, menschenfeindlich dünner Luft, sportliche Höchstleistungen zu vollbringen? Warum hat sie wieder und wieder Grenzen überschritten und ihr Leben riskiert? Warum hat sie nicht nur abweisende Naturgewalten bekämpft, sondern auch den Machismo ihrer dünkelhaften männlichen Kollegen? Die Antwort hat die große Bergsteigerin einmal selbst gegeben: „Alle Versuche, meine Unabhängigkeit einzugrenzen, betrachte ich als Aggression, auf die ich mit Sturheit reagiere, anstatt mich zu beugen.“ Tatsächlich könnte es genau diese Sturheit sein, diese unbezwingbare Beharrlichkeit, die weibliche und männliche Bergsteiger gemeinsam haben.
Gaby Sikorski