The Seed of the Sacred Fig

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Kurz vor Der Weltpremiere seines neuen Films gelang es Mohammad Rasoulof aus dem Iran zu fliehen was „The Seed of the Sacred Fig“ eine zusätzliche Note verleiht. Doch das macht das Drama um einen Richter der Revolutionsgarden nicht zu einem herausragenden Film, sondern der scharfe, am Ende aber vor allem traurige Blick auf die Missstände der iranischen Gesellschaft.

The Seed of the Sacred Fig (Daneh Anjeer Moghadas)
Iran/ Frankreich/ Deutschland 2024
Regie & Buch: Mohammad Rasoulof
Darsteller:Misagh Zare, Soheila Golestani, Mahsa Rostami, Setareh Maleki, Niousha Akhshi, Reza Akhlaghi,

Länge: 172 Minuten
Verleih: Alamode
Kinostart: 26. Dezember 2024

FILMKRITIK:

Iman (Missah Zare) arbeitet am Gericht der Revolutionsgarden, die als Wächter der Iranischen Republik gelten und ist gerade befördert worden. Seine Arbeit beinhaltet es unter anderem, Todesurteile zu unterschreiben, auch wenn er oft nichts Genaues über den Prozess weiß. Der neue Posten erfüllt seine Frau Najmeh (Soheila Golestani) einerseits mit Stolz – außerdem ist eine größere Wohnung und eine Waschmaschine drin – andererseits auch mit Sorge: Gerade die Töchter Sana (Setareh Maleki) und Rezvan (Mahsa Rostami) müssen nun noch mehr darauf bedacht sein, nicht aufzufallen oder sich über den Beruf des Vaters zu äußern.
Doch das ist leichter gesagt denn getan, denn gerade ist Jina Mahsa Amini in Polizeigewalt gestorben und das Land wird von Protesten erschüttert. Auch Sadaf, eine Freundin der Töchter ist involviert und stellt die Familie vor Entscheidungen, die die unter der Oberfläche brodelnden Konflikte ausbrechen lassen.
Hochaktuell ist „The Seed of the Sacred Fig“, ganz offensichtlich aus der Wut des Moments heraus entstanden, aber deswegen keineswegs ein rein agitatorischer Film, der nicht auch ohne das Wissen über die Zustände im Iran funktionieren, wirken und berühren würde. Zwar erzählt Rasoulof explizit über eine Familie im Iran, aber vor allem implizit darüber, wie ein autokratisches Regime Misstrauen schürt und die Bande, die eine Gesellschaft normalerweise zusammenhält zerstört, vor allem die einer Familie.
Komplexe Figuren sind alle vier der Familie, Vater, Mutter und beide Töchter, aber am meisten die Mutter. 20 Jahre ist sie mit Iman verheiratet, ahnt, dass er auch moralisch höchst fragwürdige Dinge tut, die nur mit allergrößten rhetorischen Volten mit den Prinzipien des Korans in Einklang zu bringen sind. Doch sie hält ihm die Treue, übernimmt Imans Argumentation, seine Verteidigungsstrategien. Wenn da im Fernsehen etwa gesagt wird, dass die Demonstranten Revoluzzer sind, die das Regime stürzen wollen und deswegen Strafe verdienen, dann glaubt Najmeh das aufs Wort. Ganz anders die Töchter, besonders die 21jährige Rezvan, die mit den Sozialen Medien aufgewachsen sind und gelernt haben, den staatlichen, den offiziellen Nachrichtenkanälen zu misstrauen, vor allem aber auch ihren eigenen Augen zu glauben, ihrem Gewissen zu vertrauen.
Gerade im letzten Drittel des Films, wenn die Familie Teheran verlässt und in Imans Heimatort Unterkunft sucht, einer nur noch aus Ruinen bestehenden Ortschaft, die symbolisch dafürsteht, was im Iran in den letzten Jahrzehnten zerstört wurde, entwickelt sich „The Seed of the Sacred Fig“ zunehmend zu einem Paranoiafilm. Dass Misstrauen, das der Staat durch seine Repressionen, sein Überwachungssystem gesät hat, lässt Iman auch seinen Töchtern und seiner Frau misstrauen, macht ihn im Kleinen, im Rahmen der Familie, zu einem Despoten. Es ist fraglos kein Zufall, dass es am Ende die Frauen sind, die zusammenhalten, die sich gegen den Unterdrücker wehren. Und wenn es dann schließlich unausweichlich zu einem Moment der Gewalt kommt, mag das zwar auf den ersten Blick wie eine Rettung erscheinen, ist in Wirklichkeit aber eine Niederlage für alle Beteiligten, vor allem für die Menschen im Iran.

Michael Meyns