Unkenrufe – Zeit der Versöhnung

nach der gleichnamigen Erzählung von Günter Grass
Deutschland/Polen 2005
Regie: Robert Glinski
Darsteller: Matthias Habich, Krystyna Janda, Dorothea Walda, Bhasker Patel, Udo Samel, Joachim Król, Mareike Carrière
90 Minuten
Verleih: NFP marketing & distribution (Start am 22.9.05), www.nfp.de

Man kann es als deutsch-polnisches Märchen sehen, als Fabel auf ein zusammenwachsendes Europa. In seiner 1992 verfassten Erzählung „Unkenrufe“ beschrieb Günter Grass die Idee eines deutsch-polnischen Versöhnungsfriedhofs für die aus ihrer Heimat Vertriebenen und Flüchtlingen. Ein Gedanke, den Grass mit den Auswüchsen von Globalisierung und westlichem Kapitalismus zu einer Groteske verband. Der Ton der Verfilmung bleibt jedoch irritierend schwermütig und moralisch und kämpft gegen seinen deutungsschweren Anspruch.

Schon die Art und Weise, wie der Kunsthistoriker Alexander Reschke (Matthias Habich) 1989 auf dem Weg nach Danzig wegen einer unglückselig die Straße kreuzenden Unke in die Leitplanken kracht, lässt nichts Gutes ahnen. Seine Erfahrungen mit der kleinen Hinterhofwerkstatt, in die ihn ein zufällig des Weges kommender Pole abschleppt, verquicken die drei Drehbuchautoren (darunter auch der für drei der letzten Filme von Joseph Vilsmaier schreibende Klaus Richter) mit Klischees vom Bild der Deutschen über die Polen – Klischees, die sich allen Unkenrufen zum Trotz hier als haltlos erweisen.

In Danzig verbrachte Reschke Teile seiner Kindheit, was immer wieder von bräunlich eingefärbten Rückblenden in jene Jahre sichtbar gemacht wird. So erfährt man, dass die Kameraden der Hitlerjugend ihn „Unke“ nannten und ihn als Strafe für zu wenig eingesammelte Kartoffelkäfer eine solche Kröte schlucken ließen – eine Begebenheit, die reichlich bemüht wirkt. Im Kern von „Unkenrufe“ aber geht es um etwas ganz anderes. Aus der zufälligen Begegnung mit der Polin Aleksandra Piatowska (Krystyna Janda), die ihrerseits eine Vertriebene aus dem litauischen Wilna ist und seit ihrer Flucht in Danzig lebt, entsteht, nachdem ein Heimattourist im Moment größten Glücks das Zeitliche segnet, die Idee, einen Friedhof für Deutsche in Polen und einen für Polen in Wilna zu errichten – auf dass sie friedlich ruhen in heimatlicher Erde.

Die Sache scheint zu funktionieren. Mit Hilfe des deutschen Investors Vielbrand (Udo Samel) und einer auch aus kirchlichen Vertretern bestehenden Gesellschaftergruppe (u.a. auch Joachim Król) wird der Versöhnungsfriedhof bald schon Wirklichkeit. Nachdem aber unsensibel mit der Geschichte umgehende Grabinschriften zu wüsten Nazi-Schmierereien auf dem Friedhof führen, es unter den polnischen und deutschen Stiftungsmitgliedern zu Spannungen kommt und das Projekt gar kommerziell ausgeschlachtet zu werden droht, können sich die längst zu einem Paar gewordenen Alexandra und Alexander nicht mehr mit dem ursprünglich ideell angelegten Projekt identifizieren und steigen aus. Die restlichen Mitglieder der Stiftung erweitern das Unternehmen indes um Altersheime, sogar an Golfplätze wird gedacht. Wenn das mal keine neuen Weltverbesserungsmaßnahmen sind.

Der seit seinen Romanen „Der Butt“ und „Die Rättin“ das Welt- und Zeitgeschehen gerne literarisch deutende Ur-Danziger Günter Grass lässt in seiner Erzählung mit dem indischen Rikschafahrer (Bashker Patel) einen wahren Globalisierungsgegner und Ökoapostel auftreten – getreu dem Motto: gegen Öl, Fortbewegung nur mit Muskelkraft. Auch dies eine Idee, deren Umsetzung immer noch im Reich der Utopie, zumindest aber nicht in einer automobil- und motorfixierten Gesellschaft anzusiedeln ist und wie manche andere politische wie ökonomische Idee des Films zunächst schmunzeln lässt, dann aber doch irritiert. Denn ob nun Kunsthistoriker Reschke an einem Buch über erotische Grabskulpturen schreibt (weswegen er ursprünglich nach Danzig reist) oder Marktfrau Erna Brakup (Dorothea Walda), später auch stimmberechtigtes Mitglied in der Stiftungsgesellschaft, Sätze wie „alles ein bisschen viel für einen Tag, auch die große Weltgeschichte muss mal schlafen gehen“ im Zusammenhang mit der deutsch-deutschen Wiedervereinigung sagt – solche Momente wirken bedeutungsschwer ohne dass sie es sind. Ein Gefühl, dass diese eher für einen Fernsehabend geeignete Verfilmung ständig begleitet. Am Ende wird es wieder eine Unke sein, die (fernab von Deutschland, Polen oder Danzig) Schicksal spielt – und im Tod für Versöhnung, und ein letztes Mal für Irritation sorgt.

Thomas Volkmann