Urlaub vom Leben

Deutschland 2005
Regie: Neele Leana Vollmar
Buch: Janko Haschemian
Kamera: Pascal Schmit
Mit: Gustav Peter Wöhler, Meret Becker, Petra Zieser
83 Min.
Verleih: Schwarz-Weiss Filmverleih
Kinostart: 2. Februar 2006

Wenn Kino der Ersatz für unsere Träume ist, dann beschreiben die jungen deutschen Filmemacher zurzeit auffallend häufig einen Albtraum: Den von der zerfallenden Familie, der Verlorenheit der Kinder und der Unbehaustheit des eigenen Zuhauses. „Urlaub vom Leben“, der Eröffnungsfilm der Hofer Filmtage 2005, variiert dieses Thema als leise Komödie über einen  Familienvater, der sich in seinem eigenen Leben verlaufen hat.

Eigentlich müsste der Filmtitel „Urlaub vom Tod“ heißen, denn als Leben kann man es kaum bezeichnen, was Rolf Köster (Gustav Peter Wöhler) jeden Tag absolviert. Die Tristesse seines Alltags hat alle Lebendigkeit aus ihm verjagt, er schlurft zwangsneurotisch durch sein Haus, frühstückt nach der Eieruhr, die er zur Stechuhr umfunktioniert, betrachtet seine Kinder wie seltsame, fremde Tiere, seinen Bewegungen fehlt jegliche Beweglichkeit und sogar wenn er joggt, sieht es aus, als trete er auf der Stelle. Nach außen mag seine Familie durchschnittlich funktionstüchtig wirken, innerhalb der eigenen vier Wände allerdings offenbart sich, dass in diesem Universum jeder Planet einsam seine Bahnen zieht. Unvermittelt gerät der Planet des Vaters jedoch in eine andere Umlaufbahn. Kösters Chef ordnet eine Woche Zwangsurlaub an, die täglichen Rituale geben keinen Halt mehr und Köster wird bewusst, wie jämmerlich seine Existenz ist. Er lernt eine Taxifahrerin kennen (Meret Becker), in deren quirliger Lebendigkeit er sich erst recht wie ein Geist spiegelt und erfährt, dass seine Frau ihn betrügt – „Ein Urlaub vom Leben“, der ihm klarmacht, dass er genau genommen schon tot war.

Neele Leana Vollmar, die junge Regisseurin und Absolventin der Filmakademie in Ludwigsburg, nähert sich der Welt dieser in Sprachlosigkeit versunkenen Familie mit großer Selbstverständlichkeit.  Die 1978 Geborene gehört zur Generation derer, die Familiengeschichten neu buchstabieren. Es geht nicht mehr um ein Aufbegehren der Jungen gegen die Alten, sondern um die Feststellung, dass Zusammenleben längst nicht bedeutet, dass man auch zusammengehört. Familie engt nicht mehr ein, aber sie bietet auch keinen Schutzraum mehr. „Urlaub vom Leben“ ist einer von vielen jungen deutschen Filmen, die davon erzählen und die Behutsamkeit und Unaufgeregtheit mit der er gestaltet ist, lässt Vollmars Talent erkennen. Ihr Erzählton ist ruhig, die Kamera sucht sorgfältiger nach Bildern, als man es von vielen aus der Hand gedrehten aktuellen Filmen gewohnt ist und die Geschichte führt ihre Figuren nicht vor, sondern betrachtet sie mit liebevoller Nachsicht. 

So präzise und stellenweise leichtfüßig die Inszenierung gelingt, so wenig stimmig jedoch ist der Rhythmus der Erzählung. Gustav Peter Wöhler muss allzu lang mit magensaurem Gesicht seiner Figur die Kontur eines seelisch Kranken verleihen, ohne dass die Geschichte ihm einen Energieschub verpassen würde. Hier stimmt die Balance nicht ganz. Er erwacht erst aus seiner Starre, als der Film aus ist, dabei würde man ihn gerade jetzt gerne noch ein Stück begleiten.

Verblüffend ist auch, mit welcher Natürlichkeit und Wahrhaftigkeit Vollmar die Kinder zu inszenieren vermag – fern aller Klischees und dadurch sehr eindringlich –, während ihr die Nebenfiguren zu Stereotypen geraten: Meret Becker darf nur die Oberfläche einer hibbeligen Aussteiger-Frau skizzieren und Lars Rudolph muss wieder einmal den Spinnerten geben – all das dämpft die Freude an diesem Film, der doch an anderer Stelle zeigt, mit wie viel Hingabe er erzählt wurde.

Dennoch weckt „Urlaub vom Leben“ Neugier auf weitere Arbeiten von Neele Leana Vollmar.
Der Film überzeugt durch seine handwerkliche Genauigkeit, zeigt das seismografische Gespür der Regisseurin und erinnert in starken Momenten an den lakonischen, sich aus der Wirklichkeit speisenden Humor der Filme von Andreas Dresen.

Sandra Vogell