Walk the Line

USA 2005
Regie: James Mangold
Buch: Gill Dennis, James Mangold
Kamera: Phedon Papamichael
Schnitt: Michael McCusker
Musik: T. Bone Burnett
Darsteller: Joaquin Phoenix, Reese Witherspoon, Robert Patrick, Ginnifer Goodwin, Dallas Roberts, Dan John Miller, Larry Bagby
136 Minuten
Verleih: 20th Century Fox
Kinostar: 2. Februar 2006

Wenn es Herbst wird im amerikanischen Kino, die letzten hirnlosen Actionspektakel von der Leinwand verschwunden sind, beginnt die Oscar-Saison. Und das bedeutet unter anderem: Biographische Filme. In James Mangolds Film steht der Country-Sänger Johnny Cash im Mittelpunkt, von Joaquin Phoenix überzeugend dargestellt. Kaum ein Exzess wird ausgespart, die schauspielerische und technische Qualität ist hoch, das Ergebnis ist ein solides Biopic, nicht mehr und nicht weniger.

Es beginnt im Staatsgefängnis von Folsom, wo Cash 1968 ein legendäres Konzert gespielt hat. Während seine Band einen mitreißenden Beat spielt und die Insassen vor Begeisterung kaum zu halten sind, fährt die Kamera hinter die Bühne, wo Cash gedankenverloren an einer Werkbank steht und eine Kreissäge berührt. Sie ist Ausgangspunkt für die weit ausholende Rückblende, die den Film strukturiert und gleichzeitig Symbol für die typisch einfältige Psychologie dieser Art von Film. Denn wie wir schnell erfahren ist Cashs älterer Bruder Jack bei einem Unfall eben mit einer Kreissäge ums Leben gekommen. In Verbindung mit dem harschen Vater (Robert Patrick), der Cash für den Unfall mitverantwortlich macht und bedauert, dass der “falsche“, nämlich vielversprechendere Sohn gestorben ist, wird dieses Ereignis zur Ursache für Cashs zukünftiges selbstzerstörerisches Verhalten. Dass gerade der Verstand eines Musikers, dessen Kunst sich nicht zuletzt aus extremen Emotionen speist, komplexer strukturiert ist als solch naive Analysen vorgeben dürfte offensichtlich sein. Vielleicht kann man von einem Film dieser Art aber auch nicht mehr erwarten, der sich im Endeffekt auch weniger um die Ursachen künstlerischer Inspiration kümmert, als um das Überwinden der Exzessivität und damit dem Prozess des Normalwerdens. Das mit dieser Normalität, die sich in einer funktionierenden, monogamen Ehe, Kindern und der Versöhnung mit den Eltern ausdrückt, nicht selten die künstlerische Originalität verloren geht, wird dabei ignoriert.

Sieht man jedoch von dieser oberflächlichen Analyse von Cashs Exzessivität ab, schafft es Mangold mit Hilfe der technischen Abteilung und seiner ausgezeichneten Hauptdarsteller, ein überzeugendes Porträt eines faszinierenden Menschen abzuliefern. Während Joaquin Phoenix schon des Öfteren sein Talent unter Beweis gestellt hat, ist es vor allem Reese Witherspoon, die in der Rolle der June Carter überrascht. Letztlich ist es die Liebesbeziehung dieser beiden Musiker, die den Film strukturiert und im berühmten Heiratsantrag während eines Konzertes seinen Höhepunkt findet. In June findet Cash die Frau, die ihn mehr versteht als jeder andere Mensch, die allerdings stark von den konservativen Wertvorstellungen ihrer Zeit beeinflusst ist und nur langsam eine Beziehung zu Cash zulässt.

Bis es soweit ist stehen zahlreiche Auftritte, die Cashs wachsenden Erfolg nachzeichnen, der mit zunehmender Tabletten- und Alkoholsucht einhergeht. Wie sehr Phoenix dem jungen Cash ähnelt ist allein schon bemerkenswert. Wahrlich erstaunlich ist, dass er – ebenso wie Witherspoon – auch selber singt und das auf mehr als überzeugende Weise. Darüber hinaus ist seine Darstellung frei von den Manierismen, die viele seiner Kollegen bei dem Versuch sich solch extremer Persönlichkeiten zu nähern gerne benutzen. Phoenix dagegen versteht es die Verzweiflung Cashs, seinen langjährigen Versuch, mit sich selbst ins Reine zu kommen, auf subtile Weise zu verdeutlichen. Dank der überzeugendes Darstellungen, großartiger Musik und einem authentischen wirkenden Zeitgefühl (auch wenn man sich bisweilen gewünscht hätte, dass die sozialen Probleme der sechziger Jahre, die starken Einfluss auf Cashs Musik hatten, deutlicher hervortreten würden) ist Walk the Line ein sehr sehenswertes Biopic.

Michael Meyns