Welt ist groß und Rettung lauert überall, Die

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Dank wiederholt großem Zuspruch auf Filmfestivals kommt mit einiger Verspätung die bereits 2007 entstandene europäische Ko-Produktion „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ nach dem Roman von Ilija Trojanow in deutsche Kinos. Erzählt wird die Geschichte des mit seinen Eltern von Bulgarien nach Deutschland emigrierten Sashko und wie ihn sein lebenslustiger Großvater nach einem folgenschweren Unfall per Tandem in die Heimat zurückholt. Das Würfelbrettspiel Backgammon steht in diesem tragikomischen Fahrr(o)admovie symbolisch für das Überwinden von schicksalsbestimmten Hürden im Leben.

Webseite: www.arsenalfilm.de

Bulgarien/Deutschland/Italien/Slowenien 2007
Regie: Stephan Komandarev
Mit: Miki Manojlovic, Carlo Ljubek, Hristo Mutafchiev, Anna Papadopulu, Lyudmila Cheshmedzieva
105 Minuten
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 1.10.2009
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Erst eine Flucht, dann eine Rückkehr. „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ beginnt exakt in der Mitte. Alexander und seine aus Bulgarien stammenden Eltern leben da bereits seit rund 20 Jahren in Deutschland. Dann verliert ein Mercedes unfreiwillig die Bodenhaftung, die Eltern sterben, Alexander findet sich mit einer retrograden Amnesie, ohne jegliche Erinnerung an den Unfall und sein früheres Leben also, auf einer Krankenstation wieder. Als sein Großvater vom Unglück erfährt, will er seinen Enkel, liebevoll Sashko genannt, zurück in die Heimat holen. Auch wenn er den eigensinnigen, aber durchaus lebensfroh verschmitzten Großvater zunächst nicht als diesen erkennt, auf der gemeinsamen, ungewöhnlicherweise per Tandem durchgeführten Reise erinnert sich der eher lethargische Alexander nach und nach auch wieder an seine Kindheit und die Stationen seiner Flucht.

Der aus Bulgarien stammende Regisseur Stephan Komandarev hat gut daran getan, die in Ilija Trojanows Buchvorlage vorhandenen langen Reisebeschreibungen außen vor zu lassen und sich auf die wesentlichen Stationen dieser von einem doppelten Aufbruch handelnden Geschichte zu konzentrieren. Die Szenen der Flucht wie auch der Rückkehr gestaltet Komandarev dabei in nostalgisch gefärbten, warmen, erdigen und harmonischen Tönen, das Leben in Deutschland hält er in kalten, Einsamkeit und Fremde symbolisierenden Farben. Als Kontrapunkt zum Schwermut der Geschichte dient immer wieder auch die lebenslustige, energetische Musik balkanischer Herkunft, die indirekt ja auch für Chaos und Anarchie – kurz: Lebenswillen - steht.

Während Großvater und Enkel beherzt in die Pedale in Richtung Südosten treten und dabei immer wieder herrliche Landschaftsaufnahmen über die Leinwand ziehen, blendet Komandarev zurück zu den Stationen der Emigration. Hier erzählt er von den Schikanen in Übergangslagern, dem Ausgeliefertsein an Macht und Korruption und der ewigen Hoffnung auf ein besseres Leben. Bestimmt ist die ganze Geschichte aber auch von der fast schon spirituell zu nennenden Philosophie des Backgammonspiels, in dem der Großvater als Meister gilt. Dessen märchenhafte Kernaussage: das Schicksal ist der Würfel in Deiner Hand, es kommt auf Dich und Dein Können an.

Mit den größten Eindruck an dieser universellen europäischen Schicksals- und Familiengeschichte hinterlässt der Part von Emir Kusturicas serbischem Stammschauspieler Miki Manojlovic als Großvater Vasil. Sein lebenserfahrenes, augenzwinkerndes Auftreten ist genau das, was dem zögerlichen Alex (glaubwürdig gespielt vom Deutsch-Kroaten Carlo Ljubek) hilft, Vertrauen und Zuversicht zu finden. Eine kleine Liebesgeschichte am Rande trägt das ihre zu einem leicht sentimentalen Ende dieses insgesamt warmherzigen Fahrr(o)admovies bei.

Thomas Volkmann

Filme von bulgarischen Regisseuren sind bei uns eher selten. Hier ist einer. Er stützt sich auf den in Deutschland entstandenen gleichnamigen Roman von Illija Trojanow.

Die Geschichte der Familie Georgiew wird erzählt: Großvater, Bai Dan genannt, Großmutter, Vater, Mutter sowie Alexander, der Sohn.

70er Jahre. Bulgarien ist streng kommunistisch und sowjetgebunden. Die Geheimpolizei und die Spitzel sind am Ruder. Es ist die Zeit, in der Breschnew stirbt.

Bai Dan ist Backgammon-Spezialist. Beim Spiel schlägt er alle. Er trainiert Alexander. Der soll es auch einmal zur Backgammon-Meisterschaft bringen. Der Großvater bezieht seine ganze Lebensphilosophie aus diesem Spiel: die richtigen Punkte gewinnen, die anderen schlagen, das eigene Selbstbewusstsein daran aufrichten, nach vorne schauen, nie aufgeben.

Alexanders Vater hält mit seiner kommunismuskritischen Meinung nicht hinter dem Berg. Das Pflaster wird heiß, die Familie muss fliehen. Triest ist der Ort, wo Vater, Mutter und Sohn lange Zeit im Flüchtlingslager darben müssen.

Später. Alexander hat in Deutschland eine Bleibe gefunden. Er ist mit seinen Eltern im Auto unterwegs. Unfall. Die Eltern sind tot, Alexander schwer verletzt. Die Folge: eine retrograde Amnesie. Der Mann erinnert sich an nichts mehr.

Der Großvater Bai Dan ist es, der ihn wieder aufbauen wird: mit Geduld, mit Unnachgiebigkeit, mit Backgammon, mit den dieses Spiel bestimmenden Grundsätzen, mit einer Gewaltfahrradtour – zur Großmutter nach Bulgarien.

Unterwegs hat Alexander Maria kennengelernt. Was wird das noch werden!

Eine Familien-Schicksalsgeschichte: politische Gefahr, Flucht und Migration, tragischen Tod, totalen Gedächtnisverlust – das alles müssen die Georgiews durchmachen. Doch beherzigenswerte Prinzipien helfen auch, ein schweres Leben zu bestehen.

Die an sich flüssige Regie beansprucht aufgrund der vielen Rückblenden die ganze Aufmerksamkeit des Betrachters. Besonderes Lob verdient Miki Manojlovic für seine anschauliche Darstellung des Bai Dan.

Publikumspreis 2008 auf den Filmfestivals von Sofia und Zürich.

Thomas Engel