Yasmin

Großbritannien/Deutschland 2004
Regie: Kenny Gleenan
Drehbuch: Simon Beaufoy
Darsteller: Archie Panjabi, Renu Setna, Steve Jackson, Syed Ahmed, Shahid Ahmed, Badi Uzzman, Aar Hussain, Gary Lewis

Der 11. September 2001 lässt das auch das Kino nicht los. Der schottische Regisseur Kenny Gleenan erzählt die Geschichte der jungen Muslimin Yasmin, die nach den WTC-Anschlägen nicht nur gegen Vorurteile, sondern auch gegen die Konflikte in ihrer Familie ankämpfen muss.

Yasmin, Pakistanin in zweiter Generation, lebt mit ihrer Familie in Nordengland. Morgens verlässt sie das Haus mit Kopftuch und Gewand, doch nur wenige Kilometer weiter auf dem Weg zur Arbeit, stoppt sie ihren neuen Golf und tauscht die schwarze Tracht gegen Jeans und High-heels ein. Ein Leben zwischen zwei Welten, die sich nur selten berühren.

Ihrem Kollegen und besten Freund John (Steve Jackson) verheimlicht sie ihre Ehe mit Cousin Faysal (Shahid Ahmed), den sie als Gefallen für die verstorbene Mutter geheiratet hat. Für Yasmin ist er nichts weiter als ein Taugenichts, der sich nicht mit dem Großstadtleben arrangieren will und im Hinterhof eine Ziege hält, während der Tee an offener Feuerstelle erwärmt wird.

Es kommt der 11. September 2001 und ihr Umfeld ändert sich radikal: Auf der Arbeit wird sie anfänglich noch mit “Yasmin liebt Osama³-Zetteln gehänselt, die an ihrem Spind hängen. “Wer ist Osama?³, fragt sie verstört. Doch schon bald reagieren Kollegen und Fremde weniger wohlwollend und strafen sie mit Missgunst und Abneigung. Die Situation eskaliert, als die englische Polizei mit einer bewaffneten Spezialeinheit ihr Elternhaus stürmt und ihr Bruder Nasir (Syed Ahmed) in die Hände eines radikalen Predigers fällt. 

Der bisher vorwiegend für das Fernsehen tätige schottische Regisseur Kenny Gleenan orientiert sich in seinem zweiten Kinofilm stark an seinem Vorbild Ken Loach, der in seinen vergangenen Filmen (“Just a Kiss³/ “Bread and Roses³) ebenfalls zwischenmenschliche und politische Dramen aus verschiedenen (multikulturellen) Milieus erzählte. Kenny Gleenan verzichtet auf Happy-End und moralischen Zeigefinger, stattdessen inszeniert er die Folgen des 11. Septembers am Beispiel einer jungen Frau, die zum Opfer kultureller Vorbehalte und Verdächtigungen wird.

Der Film konzentriert sich dabei auf den inneren, familiären Konflikt, den Yasmin mit ihrem Bruder und dem Vater austrägt und vermeidet eventuelle Hasstiraden englischer Mitbürger. Der Zwiespalt, die Ohnmacht und das Unverständnis der jungen Muslimin verkörpert Archie Panjabi (“East is East") sehr beeindruckend. Auf eindringliche Weise wird dem Publikum die Zerrissenheit dargestellt, mit der sich westliche Muslime nach den Terroranschlägen konfrontiert sehen, zwischen den kollektiven Diffamierungen der US-Regierung und den radikalen Botschaften der Djihad-Führer um die Al-Qaeda-Gruppe.

Ein Film über die Suche nach (kultureller) Identität, die unsichtbar und in weiter Ferne liegt. Die Schuldigen werden nicht ausgemacht  weder George W. Bush noch Osama Bin Laden müssen als Feindbild herhalten, da “Yasmin' nicht den Anspruch erhebt 'ein politisch-aufklärender Film zu sein. Auch fast vier Jahre nach den Anschlägen lähmt die traurige Gewissheit, dass die kulturellen Ängste, bei aller Diskussion und Toleranz, nur wenig abgenommen haben. 

David Siems   

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Der 11. September 2001 hatte für Muslime einen schlagartigen, gesellschaftlichen Klimawandel zur Folge. Nach einem Drehbuch von „Ganz oder gar nicht“-Autor Simon Beaufoy zeigt „Yasmin“ nicht nur die intensivierten Diskriminierungen und irrationalen Ängste gegenüber pakistanischen Muslimen in einer nordenglischen Stadt, sondern auch deren stärkere Zuwendung zur eigenen Religion bis hin zur Radikalisierung. Regisseur Kenny Glenaan entwirft dabei ein kraftvolles, differenziertes und nicht nur visuell ungeschöntes Bild der britischen Pakistani-Community nach dem 11. September 2001. Ihm gelingt auch das Portrait einer weitestgehend assimilierten, jungen Frau, der Sozialarbeiterin Yasmin, die mit wachsender Ausgrenzung ins familiäre Umfeld und zu ihren kulturellen Wurzeln zurück gedrängt wird.

Für die pakistanisch-englische Sozialarbeiterin Yasmin ist der ganz normale Alltag ein Spagat zwischen zwei Kulturen: In Kenny Glenaans gleichnamigem Film tauscht sie jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit ihre weiten Kleider und die Verschleierung gegen Jeans und offene Haare. Im etwas ärmlichen Pakistani-Viertel einer nordenglischen Stadt, wo sie gegenüber von ihrem Vater und ihrem Bruder wohnt, muss sie sich schließlich traditionell verhüllt kleiden. Außerdem wurde sie gegen ihren Willen, aber nach dem angeblichen Wunsch ihrer toten Mutter, mit ihrem pakistanischen Cousin Faysal verheiratet. Von dem will sie sich allerdings wieder scheiden lassen, sobald der seine Aufenthaltsgenehmigung hat, denn eigentlich hat sich Yasmin in ihren Arbeitskollegen John verliebt.

Wie in einigen britischen Filmen der vergangenen Jahre, etwa in „East is East“ oder kürzlich in Ken Loachs „Just a Kiss“, geht es hier um das Spannungsfeld zwischen einem westlichen Umfeld und Leben nach den traditionellen Vorstellungen einer muslimischen Familie. Doch anders als Loachs Film, der die Veränderungen durch die New Yorker Anschläge am 9. September 2001 nur ganz kurz thematisiert, geht „Yasmin“ stärker auf den dadurch bedingten gesellschaftlichen Klimawandel für die pakistanische Community in England ein. Schließlich wurde danach immer wieder von Diskriminierungen und gewalttätigen Übergriffen berichtet, alte Vorurteile verstärkten sich wieder deutlich und der Terror einzelner Extremisten projizierte irrationale Ängste auf die gesamte muslimische Gemeinschaft. Das Ergebnis  jahrzehntelanger Integrationsversuche wurde so mit den einstürzenden Twin Towern des World Trade Centers von einem Moment zum nächsten nachhaltig gestört.

Die verschiedenen Seiten des Konflikts verlaufen in „Yasmin“ auch in manchmal vielleicht etwas zu deutlichen Trennlinien durch die Familie: Yasmin, stark gespielt von Archie Panjabi („Bend it like Beckham“), hat sich in ihrem angepassten Arbeitsalltag mit ihren britischen Kollegen gut eingerichtet, zieht sich aber nach dem 11. September wegen offener Mobbing-Schikanen und unverdeckter Diskriminierung völlig in ihr familiäres Umfeld zurück und öffnet sich erstmals ihren muslimischen Wurzeln. Ihr tief religiöser Vater Khalid, Wächter der Moschee, ist ein typischer Patriarch, der sich aber klar gegen jede Form muslimischen Extremismus stellt. Ganz anders als sein Sohn, Yasmins Bruder Nasir: Der verdient sich zunächst noch sein Geld mit Drogendealerei und hat Sex mit englischen Mädchen, lässt sich aber nach den Anschlägen aufstacheln und extremistisch motivieren.

Anhand dieser verschiedenen Positionen zeigt „Yasmin“, wie die muslimische Minderheit noch stärker als zuvor der gesellschaftlichen Ausgrenzung ausgesetzt war und wie die Ereignisse in New York dazu führten, dass einige Moslems in ihrem Glauben nicht nur bestärkt, sondern auch radikalisiert wurden. Nach einem Drehbuch von „Ganz oder gar nicht“-Autor Simon Beaufoy entwirft Glenaan so ein vielschichtiges Bild der pakistanischen Gemeinschaft nach dem 11. September 2001 – ungeschönt und kraftvoll.

Sascha Rettig