A Young Man With High Potential

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Großes Potenzial verschenkt: In seinem zweiten abendfüllenden Spielfilm erzählt Regisseur und Drehbuchautor Linus de Paoli von einem unsicheren Eigenbrötler, der sich aus gekränktem Stolz zu einer drastischen Tat hinreißen lässt. Was ein bissiger Kommentar zum Verhältnis der Geschlechter hätte werden können, entpuppt sich leider als wenig subtiles, krampfhaft provokantes Drama mit einem stereotypen Außenseiter im Mittelpunkt.

Webseite: www.a-young-man-with-high-potential.de

Deutschland 2018
Regie & Drehbuch: Linus de Paoli
Darsteller: Adam Ild Rohweder, Paulina Galazka, Pit Bukowski, Amanda Plummer
Länge: 86 Minuten
Verleih/Vertrieb: Forgotten Film Entertainment
Kinostart: 07.03.2019

FILMKRITIK:

Dicklich und bebrillt – das Bild eines Computer-Nerds im Film scheint festgefahren. Auch Linus de Paoli greift in „A Young Man with High Potential“, der 2018 beim Filmfest München seine Weltpremiere feierte, tief in die Klischeekiste und präsentiert dem Zuschauer einen Protagonisten, dessen äußere Erscheinung allein nach mangelnder Sozialkompetenz schreit. Piet (Adam Ild Rohweder) ist – so erfahren wir gleich zu Beginn – ein überaus begabter Informatikstudent an einer internationalen Uni, hat dummerweise aber Probleme im Umgang mit seinen Mitmenschen. Nur selten kriecht er aus seiner stets abgedunkelten Wohnheimbude hervor. Sein Essen lässt er sich die meiste Zeit an die Türe liefern. Und seine fehlende sexuelle Erfahrung kompensiert er mit einem Erotikchat. Kontakt pflegt der immer ein wenig getrieben dreinblickende PC-Experte einzig zum machohaften Alex (Piet Bukowski), der ständig mit seinen Aufreißer-Qualitäten hausieren geht.
 
Beinahe panisch reagiert Piet, als eines Tages Mitstudentin Klara (Paulina Galazka) auf ihn zukommt und vorschlägt, gemeinsam ein Studienprojekt in Angriff zu nehmen. Nur zögerlich ringt sich der Sonderling zu einer Zusammenarbeit durch, findet dann aber rasch Gefallen an seiner sympathischen Kommilitonin. Da Klara ihm erstaunlich unvoreingenommen begegnet, wagt Piet irgendwann einen Annäherungsversuch, der jedoch kläglich scheitert. Von seinen Frustrationen übermannt, zieht sich der Informatiker wieder in sein Schneckenhaus zurück. Eine weitere Begegnung endet schließlich in einer Katastrophe.  
 
Dass der jungen Frau etwas Schlimmes widerfahren wird, verrät schon die Rahmenhandlung, in der eine Privatermittlerin („Pulp Fiction“-Aktrice Amanda Plummer) den spürbar aufgewühlten Piet befragt. Dramaturgisch erschließt sich dieser Erzählkniff nur bedingt, da er anfangs entscheidende Entwicklungen vorwegnimmt und am Ende auf ein seltsam zielloses Gespräch hinausläuft. Rückblickend wirkt Plummers Auftritt wie ein kleiner, für die Geschichte gänzlich überflüssiger Freundschaftsdienst. Immerhin war die US-Schauspielerin bereits in de Paolis erster Regiearbeit, dem dffb-Abschlussfilm „Dr. Ketel – Der Schatten von Neukölln“, zu sehen.
 
Deutlich negativer als dieses Kuriosum fällt freilich der Holzhammermodus ins Gewicht, mit dem das Drehbuch fast durchweg operiert. Als messerscharfe Charakterstudie funktioniert der komplett auf Englisch gedrehte „A Young Man with High Potential“ allein deshalb nicht, weil im ersten Drittel eine Plattitüde die nächste jagt. Im Mittelteil nimmt das Ganze eine Wendung ins Blutig-Abgründige, die einen zartbesaiteten Zuschauer überfordern dürfte. Ganz offen flirtet der Regisseur hier mit Elementen des Horrorkinos und erzeugt dabei durchaus eine beklemmende Atmosphäre. Gleichzeitig ist die Eskalation aber auch recht krampfhaft um Verstörung bemüht und wirkt aufgrund von Piets dilettantischem Verhalten unfreiwillig komisch. Perfekt wird der tonale Mischmasch, wenn im letzten Akt Slapstick-Einlagen und allerhand Zufälle das Geschehen dominieren.
 
Zwischen den Zeilen wirft der Film gewiss einige interessante Gedanken auf – etwa über das Empfinden von Unrecht, die männliche Sehnsucht nach Macht und Anerkennung oder die Flucht in virtuelle Welten. Wirklich ernst nehmen kann man die dick auftragende Erzählung aber leider nicht – weder als bitterböse, vor dem Hintergrund der #MeToo-Debatte hochaktuelle Auseinandersetzung mit explosiven Geschlechterfragen noch als düsteres Psychogramm eines offenkundig schwer gestörten Menschen.

Christopher Diekhaus