Alles unter Kontrolle

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Eine turbulente Komödie über die Flüchtlingskrise mag nicht gerade das Sujet sein, das Kinogänger auf der Leinwand suchen. Doch Regisseur Philippe de Chauveron zündete bereits mit seinem Culture-Clash-Streifen „Die Töchter des Monsieur Claude“ ein Feuerwerk an pointiertem Witz und erfrischender, schonungsloser Provokation. Etwas derber begibt sich der 52jährige diesmal mit seinem temporeichen Roadtrip auf eine gesellschaftliche Gratwanderung. Sein rasantes Katz und Mausspiel zwischen französischen Grenzpolizisten und einem findigen Migranten durchquert lässig ein Minenfeld, über das es auf alle Fälle nachzudenken gilt.   

Webseite: www.alles-unter-kontrolle-der-film.de

OT: Débarquement Immédiat!
Frankreich 2016
Regie/Buch: Philippe de Chauveron
Darsteller: Ari Abitan, Medi Satoun, Cyril Lecomte, Slimane Dazi, Reem Kherici, Loïc Legendre,
Länge: 90 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 20.4.2017

FILMKRITIK:

„Du bist doch auch ein Exilant, Fernandez das ist nicht französisch“, konfrontiert Flüchtling Massoud Karzaoui (Medi Sadoun) den spanischstämmigen Grenzpolizisten José Fernandez  (Ary Abittan). „Mein Opa ist vor dem Spanischen Bürgerkrieg geflüchtet und lebt seitdem in Frankreich“, verteidigt der sich. Für den auf Beförderung hoffenden Staatsbeamten entwickelt sich sein letzter Auftrag zu einer ziemlichen Kamikaze-Aktion. Denn „sein Abschiebehäftling“ kämpft mit allen Mitteln. Aber auch er und sein Kollege Guy (Cyril ­Lecomte) ersparen ihrem zu Unrecht verurteiltem Gefangenen nichts.
 
Doch bei einem unfreiwilligen Zwischenhalt in Maltas Hauptstadt Valetta eskaliert das Ganze. Mitsamt dem Heizkörper, an dem er im Hotelzimmer angekettet war, macht Flüchtling Karzaoui sich aus dem Staub. Nach einer wilden Verfolgungsjagd durch die Altstadt, kann Fernandez ihn wieder dingfest machen. Doch da die beiden Polizei-Machos sich amüsieren wollen, landen sie mit ihm im nächsten Striplokal. Dort jedoch knockt er sie gekonnt erneut aus und verpasst ihnen heimlich einen Drogencocktail. Und so beginnt eine neue Runde des rasanten Katz und Mausspiels.
 
Dabei kommt es beim abenteuerlichen Roadtrip im totalen Chaos zu einer folgenschweren Verwechslung: Ohne Papiere landet José selbst in einem Flüchtlingslager auf Lampedusa. Dass er in Wirklichkeit Franzose sei, glaubt ihm dort keiner. Und dass er Polizist ist, verschweigt er lieber. Gefährlich wird es für ihn zusätzlich, da ein afrikanischer Migrant sich beinahe bei der Essenausgabe an ihn erinnert. Inzwischen hat sich das Verhältnis zwischen den beiden Schicksalsgenossen freilich im Verlauf der wilden Odyssee allmählich verändert. 
 
Philippe de Chauveron´s humoristisches Buddy-Spektakel verzichtet weitgehend auf moralische Wertungen. Mit offensivem, absurd überdrehtem Slapstick und handfester, derber Satire bettet er das brisante Thema diesmal nicht in eine Familienkomödie wie bei seinem vorangegangenen Publikumshit. Wenn dabei mit Klischees zu Migration und Fremdenangst provoziert wird, polarisiert das natürlich mehr. „Wir alle sind zu einem gewissen Teil Migranten oder wir könnten es werden“, plädiert der 52jährige trotzdem erneut für mehr Toleranz.
 
Alle Charaktere zeichnet er diesmal sehr deutlich, fast holzschnittartig. Denn nach wie vor ist die Karikatur für ihn ein sehr wichtiges Stilmittel. Seine Abschiebepolizisten sind zwar Machos, aber nicht durchgängig brutale, willfährige Handlanger der Politik. Und am Ende stellt seine Komödie auch den gesamtgesellschaftlichen Rahmen der Abschiebepraxis in Frage. Und so regt sie auf alle Fälle zum Nachdenken an über den Zynismus eines Systems, um im skurril, überdreht, scheinbar Komischen das Tragische zu entdecken. Beifall in fremdenfeindlichen Kreisen bekommt sie durch ihre immer wieder schrägen Wendungen bestimmt nicht.
 
Luitgard Koch
 

War die letzte Kinoarbeit des französischen Regisseurs Philippe de Chauveron eine Art multikulturelle Familienerweiterungskomödie mit Hindernissen, so folgt nun mit ähnlichen Klischeevariationen eine Abschiebung mit ungeplanten Hürden und bösem Erwachen. Wo „Monsieur Claude und seine Töchter“ dank des auf Harmonie und Familienfrieden bedachten bourgeoisen Papas Charme hatte, ist die Geschichte vom Grenzpolizisten, der einen Asylbewerber zurück in seine Heimat begleitet, aufgrund zahlreicher „politischer Unkorrektheiten“ mehr auf albern gestrickt.

Ist er jetzt Afghane oder Algerier? So ganz sicher sind sich die beiden französischen Grenzpolizisten in Zivil bald schon nicht mehr, als sie einen ehemaligen Flüchtling bei seiner Abschiebung nach Kabul begleiten sollen. Die Situation, dass sich Asylbewerber oft mehrere Identitäten zulegen, ist als Ausgangspunkt realistisch. Doch alles Protestieren hilft dem straffälligen Delinquenten, der sich mal Karzaoui, mal Akim nennt, nichts. Sein Schicksal scheint besiegelt, er sitzt im Flieger, neben sich seine beiden Begleiter, deren einer kurz vor der Versetzung steht und sich um nichts in der Welt davon abbringen lassen wird, diese für ihn letzte Abschiebemission so erfolgreich und routiniert wie bisher auch abzuschließen.
 
Doch von wegen „Alles unter Kontrolle“: bei dieser Mission, die sich nach einem ungeplanten Zwischenstopp auf Malta (hübsche und malerische Szenen auf der Insel) in ein Sauf-, Drogenrausch- und Sexabenteuer wandelt, geht eine ganze Menge ziemlich schief. Hier ins Detail zu gehen verbietet sich jedoch aus Gründen des „Spannungserhalts“ – wer’s sehen will, der sehe selbst. Warnen muss man allerdings insofern, als im Unterschied zum „zivilen“ Monsieur Claude, der sich sturköpfig und aufbrausend wie einst Louis de Funès den multikulturellen Herausforderungen von drei Schwiegersöhnen aus anderen Kulturkreisen stellte, hier nun mit rassistischen und chauvinistischen Witzchen hantiert und geblödelt wird und Geschmacklosigkeiten, die man sonst eher in pubertären Erweckungsfilmen zu sehen bekommt, nun an der Tagesordnung sind. Auch fehlt es vielen Pointen an Timing.
 
Sieht man zunächst mal ab von Ari Abitan, der hier als Mischung aus Jean Dujardin und George Clooney zwischen Charmeur und Draufgänger angelegt ist, dann fehlt es der Komödie bei aller Überzeichnung an sympathischen Charakteren. Abitan und Medi Satoun standen beide schon als Schwiegersöhne in „Monsieur Claude“ gemeinsam vor der Kamera, nun sind wie Hund und Katze, die sich ständig verbal bekriegen, moralisch nicht ganz koscher der eine, ein nerviges Schlitzohr mit Hang zu Grimassen der andere. Cyril Lecomte als je nach Laune und Kondition vergnügungssüchtiger oder dauerschlafender Polizeikollege ist ohnehin nur eine nicht ernst zu nehmende Karikatur, als vorlauter Chaosstifter jedoch auch ein Garant.
 
Wenn am Ende durch einen Kniff dann einer der beiden Polizisten in Seenot gerät und schließlich durchleben muss, was der Migrant schon kennt, dann wird zumindest auf der Zielgeraden nochmal versucht, mit Ironie ein gewisses Verständnis für die Thematik von Flüchtlingsschicksalen und den ihnen gestellten bürokratischen Hürden zu wecken. In Summe aber hat es sich Philippe de Chauveron etwas zu einfach gemacht, indem er sich in eine Klischees und Vorurteile bedienende Geschichte gestürzt und eher lieblos und mit Albernheiten garniert an ihr abgearbeitet hat.
 
Thomas Volkmann