Atomic Blonde

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Im guten wie im schlechten ist David Leitchs „Atomic Blonde“ ein Film des Moments: Zwar ist es schön zu sehen, dass mit Charlize Theron eine Frau in die Rolle einer Agentin schlüpft, die im Berlin kurz vor dem Mauerfall agiert, doch leider bedient sich der durch seine Action-Phantasie „John Wick“ bekannte Leitch auch eines überdrehten, zynischen, comichaften Stils, der aus dem realistischen Ansatz der Geschichte schnell pure Phantasie werden lässt.

Webseite: www.facebook.com/AtomicBlonde.DE

USA 2017
Regie: David Leitch
Buch: Kurt Johnstad, nach der Graphic Novel „The Coldest City“ von Sam Hart & Antony Johnston
Darsteller: Charlize Theron, Jame McAvoy, John Goodman, Toby Jones, Eddie Marsan, Til  Schweiger, Sofia Boutella,
Länge: 115 Minuten
Verleih: Universal
Kinostart: 24. August 2017

FILMKRITIK:

Berlin, Anfang November 1989. In Ostberlin protestieren die Massen gegen ein System, das ihnen jahrzehntelang die Freiheit vorenthalten hat. Im Westen landet ein toter, britischer Agent in der Spree, jedoch nicht, bevor ein russischer Kollege ihm eine Uhr abgenommen hat, in der sich eine Liste verbirgt, die sämtliche Untaten auflistet, die die Briten während des Kalten Kriegs begangen haben und zudem auch sämtlich Agenten und Doppelagenten säuberlich aufführt. Diese Liste ist es, die den Plot von „Atomic Blonde“ antreibt und auch die ebenso blonde wie eiskalte Lorraine Broughton (Charlize Theron) nach Berlin führt.
 
Dort trifft sie auf den wilden, ungezügelten David Percival (James McAvoy), der schon viel zu lange in Berlin stationiert ist, krumme Geschäfte durchführt und eigene Absichten hat. Ebenso wie die junge französische Agentin Delphine (Sofia Boutella) und diverse Russen, allein deutsche Agenten scheinen in diesem Wespennest der Ost-West Konfrontation nicht zu existieren, in dem der Kalte Krieg seinen Höhe- und Endpunkt nimmt.
 
Zunehmend malträtiert wird das anfangs noch makellose Gesicht von Charlize Theron, für die „Atomic Blonde“ ein lang gehegtes Herzensprojekt darstellt. In der Graphic Novel „The Coldest City“ von Sam Hart und Antony Johnston sah Theron die Möglichkeit, endlich einmal eine Frau in den Mittelpunkt einer Spionagegeschichte zu stellen, einer sonst von Männern dominierten Welt eine weibliche Stimme entgegenzustellen. Zum genau richtigen Moment kommt dieses Projekt nun ins Kino, denn der Zeitgeist ist bereit für weibliche Helden, wie unlängst die Begeisterung für den Superheldinnenfilm „Wonder Woman“ belegte, der kurzerhand zum feministischen Manifest gedeutet wurde.
 
Ähnlich mag es auch mit „Atomic Blonde“ passieren, denn Theron prügelt, säuft und vögelt sich in bester James Bond-Manier durch das eiskalte Berlin, sieht dabei in engsten Tops und kürzesten Röcken zudem stets blendend aus. An der Oberfläche funktioniert „Atomic Blonde“ wie ein wunderbar nostalgischer Trip in die späten 80er Jahre, voller visueller und akustischer Referenzen, doch schon das nicht in Berlin, sondern größtenteils in Budapest gedreht wurde, deutet an, was hier schief gegangen ist.
 
Die Agentengeschichte, die immer wieder auf den allgegenwärtigen Verrat anspielt, der den Alltag der internationalen Spione, Doppel- und Dreifachagenten bestimmt, existiert in einer John Le Carre-Welt, in der am Ende niemand gewinnt und die Menschlichkeit verliert. Doch diese bodenständige Welt war für Theron und Leitch augenscheinlich nicht sexy genug und so lassen sie keine Gelegenheit aus, Therons Figur als quasi unbesiegbare, unzerstörbare Superagentin zu inszenieren, die exaltierte Kämpfe mit zig Gegnern ebenso übersteht wie ausufernde Schießereien. Ein abendliches Bad in der mit Eiswürfeln gefüllten Badewanne reicht stets aus, um sämtliche Blessuren zu heilen und haben zudem den Nebeneffekt Therons nackten Körper ins rechte Licht zu rücken. So eindrucksvoll gefilmt „Atomic Blonde“ oft auch ist, der Versuch, eine realistische Agentengeschichte mit comichafter Überhöhung und Gewaltexzessen zu verknüpfen, gelingt nicht wirklich.
 
Michael Meyns