Continuity

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Auf der Grenze zwischen Film und Kunstgalerie bewegt sich der israelische Künstler Omar Fast mit seinen Arbeiten, die zunehmend auch Kinostarts erleben. Vor ein paar Monaten lief der enigmatische „Remainder“, nun der noch rätselhaftere „Continuity“, der in einer kurzen Fassung schon bei der documenta 13 zu sehen war und sich mit Fragen der Wahrnehmung und des Erzählens beschäftigt.

Webseite: www.filmgalerie451.de

Deutschland 2016
Regie & Buch: Omar Fast
Darsteller: André M. Hennicke, Iris Böhm, Constantin von Jascheroff, Bruno Alexander as Daniel Fiedler, Josef Mattes
Länge: 85 Minuten
Verleih: Filmgalerie 451
Kinostart: 17. November 2016
 

FILMKRITIK:

Das Ehepaar Torsten (André M. Hennicke) und Katja Fiedler (Iris Böhm) fährt zum Bahnhof, um ihren Sohn Daniel abzuholen, der von seinem Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan zurückgekehrt ist. In der Villa der Eltern angekommen, scheint sich Daniel nicht auszukennen, auch beim Essen wirkt er weit weg, doch liegt dies an seinen traumatischen Erlebnissen im Krieg oder an Anderem? Nachts legt sich Katja zu ihrem Sohn ins Bett, schmiegt sich zärtlich an ihn und lässt ihre Hand zwischen seine Beine gleiten. Am nächsten Morgen fahren die Eltern erneut zum Bahnhof, holen erneut einen Daniel ab, der wesentlich gesprächiger als der Erste ist. Diesmal ist es der Vater, der erotisch aufgeladene Momente mit einem Mann teilt, der angeblich sein Sohn ist.

Vom ersten Moment an irritiert Omar Fasts „Continuity“ den Zuschauer, streut langsam Zweifel an den Bildern, an der Geschichte, die er zu erzählen scheint. Ein kurzer Prolog in dem ein junger Mann in einer Kriegssituation in einer Wüstengegend zu sehen ist scheint eine Erklärung anzudeuten: Der Sohn der Eltern ist Tod und nun engagiert das Paar Doppelgänger, die zumindest für kurze Momente den Sohn wieder zum Leben erwecken sollen. Doch diese Lesart wäre schon zu klar, zu linear, zu einfach.

Bald beginnt eine zweite Ebene, in der ein junger Stricher sich Opfer sucht, sie ausraubt, aber auch selbst von einem Dealer bedroht und zusammengeschlagen wird. Lange Zeit fragt man sich, was diese beiden Ebenen verbindet, sucht nach Parallelen, optischen Übereinstimmungen, doch klare Antworten gibt Fast keine.

Als 40minütige Videoinstallation wurde eine frühe Version von „Continuity bei der documenta 13 gezeigt. Nun hat Fast zusätzliches Material gedreht, das die Themen und Ansätze der kürzeren Fassung weiterführt und variiert. Sucht man jedoch nach klaren Antworten, will man die Geschichte von „Continuity“ unbedingt verstehen, einen Sinn finden, wird man enttäuscht werden. Im Gegensatz zu im Ansatz ähnlichen Verwirrspielen aus dem Bereich des Mainstream-Kinos, wie etwa „Shutter Island“, gibt es hier keine Erklärung, kein einfaches „Es war alles nur geträumt“ oder ähnliches. Dieses Offene der Erzählung mag ein wenig unbefriedigend wirken, man könnte Fast vorwerfen, es sich allzu einfach zu machen.

„Continuity“ folgt keiner filmischen Logik, sondern stellt die oft klare Kausalität von Ereignissen in narrativen Filmen in Frage. Im Gegensatz zur Realität soll im Kino meist alles einen Sinn haben, motiviert sein, ein Ereignis das andere bedingen, jede Handlung erklärbar sein. Wie ein Film aussehen kann, wenn diese „Regeln“ ignoriert werden, nicht willkürlich, sondern ganz gezielt, deutet Fast an. Inspiriert ist er dabei ganz deutlich von den filmischen Welten eines David Lynchs, der ebenfalls gerne zirkuläre Geschichten erzählt, die man nie ganz erklären kann, deren vielfältige Interpretationsmöglichkeiten sich gegenseitig widersprechen. Ganz so filmisch, so wuchtig wie Lynch gelingt es Omar Fast in „Continuity“ zwar nicht, seine Welten zu entfalten, auch die Bezüge zu den Folgen eines oft traumatischen Krieges wirken in ihren sporadischen Andeutungen nicht unbedingt zwingend, als erzählerisches Experiment, das auf ungewöhnliche, originelle Weise mit den Möglichkeiten des Kinos spielt ist „Continuity“ jedoch unbedingt sehenswert.
 
Michael Meyns