Der Moment der Wahrheit

Zum Vergrößern klicken

Ganz und gar keine Durchschnittsware zur Massenberieselung, sondern vielmehr ein intelligenter Abgesang auf den investigativen Journalismus und eine kleine Hommage an den ewigen Klassiker „Die Unbestechlichen“. Auch hier ist Robert Redford dabei, doch die Hauptrolle im Drama um Recherchen zu Präsident Bush jr. und seinen Verfehlungen hat Cate Blanchett als Fernsehproduzentin Mary Mapes.
Cate Blanchett trägt und führt den Film mit außergewöhnlicher Präsenz, sie füllt ihn mit Leben und bringt Spannung und Atmosphäre in eine wahre Handlung, die zwar im Jahr 2004 spielt, deren Aktualität aber einigermaßen bestürzend ist. Es geht um den harten Job von Journalisten zwischen den Fronten von Geld und Macht.

Webseite: www.moment-der-wahrheit.de

Originaltitel: Truth
USA 2015
Regie und Drehbuch: James Vanderbilt
Darsteller: Cate Blanchett, Robert Redford, Elisabeth Moss, Topher Grace, Dennis Quaid, Stacy Keach, Bruce Greenwood
125 Minuten
Verleih: Universum Film
Kinostart: 2. Juni 2016

FILMKRITIK:

Als Fernsehproduzentin ist Mary Mapes ein Ass: Sie plant, recherchiert, schreibt, organisiert, schneidet ihre Beiträge und schafft es sogar, gut gelaunt zu sein. Für die Nachrichtensendung „60 Minutes“ des Senders CBS hat sie nun einen ganz großen Fisch an der Angel: Es gibt Hinweise darauf, dass George Bush jr., der gerade um seine Wiederwahl als Präsident kämpft, im Vietnamkrieg eine sehr, sehr ruhige Kugel geschoben hat. Möglicherweise hat er sich sogar, entgegen seinen eigenen Behauptungen, erfolgreich um den Dienst in Vietnam gedrückt. Mary stellt ein Rechercheteam zusammen: Lucy Scott (Elisabeth Moss) und Mike Smith (Topher Grace), und sie arbeitet wieder mit dem Moderator Dan Rather (Robert Redford) zusammen. Weil der Sender den Druck erhöht und den Sendetermin immer weiter nach vorne verlegt, arbeiten Mary und ihr Team rund um die Uhr. Sie telefonieren, recherchieren, reisen herum und führen Interviews mit Ex-Militärs, die oft nur mit viel Überzeugungsarbeit zur Aussage bereit sind. Die Arbeit scheint sich zu lohnen: Der Beitrag wird rechtzeitig fertig, und alle Beteiligten sind davon überzeugt, dass sie den militärbegeisterten Chefpatrioten Bush als Drückeberger entlarvt haben. Doch zur allgemeinen Bestürzung ist das nach der Sendung gar kein Thema. Vielmehr geht es um die mögliche Fälschung von kopierten Dokumenten, die Mary Mapes zugespielt wurden. Immer mehr gerät sie selbst ins Fadenkreuz eines offensichtlich organisierten Shitstorms, wodurch auch der Sender in Schwierigkeiten kommt. Mary muss sich rechtfertigen. Sie leidet darunter, dass es immer weniger um den Wahrheitsgehalt ihrer Recherchen geht, sondern nur um Details, die sich prächtig dazu eignen, vom Thema abzulenken. Irgendwann interessiert es niemanden mehr, was der Präsident der USA im Vietnamkrieg getan oder nicht getan hat, sondern es geht um hochgestellte Buchstaben, die es vielleicht oder doch nicht auf Schreibmaschinen der Armee gegeben haben könnte. Eine bizarre Situation, die sich zu einer Art Hysterie steigert, der Mary und ihre Leute einigermaßen fassungslos gegenüberstehen. Sie müssen nochmals in Recherchen einsteigen, und diesmal geht es nicht um eine Sendung, sondern um ihre Jobs.
 
Bis heute ist Mary Mapes der Meinung, dass sie seriöse Arbeit geleistet hat. Zu Recht interessiert es niemanden, unter welchem Zeitdruck ihr Beitrag entstanden ist, mit welchen Problemen sie bei den Recherchen zu kämpfen hatte und welches Risiko sie einging, als sie sich selbst ins Fadenkreuz der rechten Populisten stellte. Spätestens hier wird der Film zum aktuellen Dokument, schwallt doch der Begriff „Lügenpresse“ seit Neuestem durch das Land wie ekelhaft klebriger Nebel. Vielleicht wird sich niemals rekonstruieren lassen, was passiert ist, ob und welche Dokumente gefälscht und/oder vernichtet wurden. Aber Mary Mapes hat nicht versucht, ihren Kopf zu retten – das wäre tatsächlich ziemlich einfach gewesen – sondern sie wollte ihre journalistische Ehre bewahren. Cate Blanchett spielt diese Journalistin als kluge, besonnene Frau, die professionell und mit Leidenschaft ans Werk geht. Dass sie dabei auch noch eine Familie hat, ist endlich einmal kein Thema, sondern selbstverständlicher Teil ihrer komplexen Persönlichkeit. Das ist keine übliche Frauenstory rund um die üblichen Themen Rollenverhalten, Familie und Karriere etc., sondern eine knackige Mediengeschichte. Dank Cate Blanchett wird daraus auch eine mitreißende Charakterstudie: Mary Mapes vibriert anfangs vor Tatendrang und Idealismus, ein Arbeitstier, ein Vollprofi. Sie blüht auf in der Arbeit, sie glaubt fest an den Sieg der Wahrheit über die, die am lautesten schreien. Der Kampf gegen sie wird immer persönlicher, doch sie unterdrückt ihre Wut. Nur ihre Enttäuschung kann sie nicht verbergen. Cate Blanchett spielt mit viel Power, aber dennoch unaufdringlich. An ihrer Seite steht Robert Redford als Dan Rather, ein in Ehren ergrauter Zyniker. Der mittlerweile erheblich zerknitterte Robert Redford war einst Bob Woodward in „Die Unbestechlichen“. Ebenso wie sein Kollege Carl Bernstein wurde er zum Vorbild einer ganzen Generation von Journalisten. Hier wirkt er wie das Symbol für das Ende dieser Ära und lässt sich bereitwillig von Cate Blanchett überstrahlen. Aber die zentrale Frage ist: Wo hat der Journalismus seinen Platz, wenn jeder innerhalb von Sekunden Nachrichten verbreiten kann, die Existenzen vernichten können? Wohin geht der Weg, wenn Journalisten und ihre Auftraggeber mehr dem Geschrei als den Recherchen glauben?
 
James Vanderbilt hat sehr gute Drehbücher geschrieben (u. a. „Zodiac“), seine erste Regiearbeit stimmt optimistisch. „Der Moment der Wahrheit“ ist ein beinahe klassisches Journalistendrama ohne effektvolles Getöse: ein sehenswerter Film über Menschen auf der Suche nach der Wahrheit, über die akribische Arbeit, die dahintersteckt, und ein spannendes Loblied auf den klassischen Journalismus.
 
Gaby Sikorski