Die Hände meiner Mutter

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Ein Film über einen Kindesmissbrauch hat mit Sicherheit keinen leichten Stand, insbesondere wenn er dieses Verbrechen mit einem weiteren gesellschaftlichen Tabuthema verknüpft: Das des weiblichen Täters. Florian Eichinger („Bergfest“, „Nordstrand“) wagt in „Die Hände meiner Mutter“ aber genau eine solche Auseinandersetzung. Auch dank seines großartigen Hauptdarstellers Andreas Döhler gelingt es ihm, einerseits mitreißend ein dunkles Familienschicksal aufzudecken und dabei gleichzeitig weder zu dramatisieren noch zu skandalisieren. Eine mutige, ehrliche und wichtige deutsche Produktion.

Webseite: www.diehaendemeinermutter.de

D 2016
Regie & Drehbuch: Florian Eichinger
Darsteller: Andreas Döhler, Jessica Schwarz, Katroin Pollitt, Heiko Pinkowski, Katharina Behrens
Laufzeit: 106 Minuten
Kinostart: 1.12.2016
Verleih: farbfilm

PRESSESTIMMEN:

Eine überzeugende, beeindruckende und tief bewegende Auseinandersetzung mit einem schwierigen Thema. Ein wichtiger, kluger und reflektierter Film, der Mut machen kann, über solch ein Thema zu reden.
FBW
 

FILMKRITIK:

Familienfeste sind berüchtigt dafür, dass es auf ihnen nicht selten zum Streit oder gar zu Verwerfungen kommt. Die Gründe für diese plötzlich aufbrechenden Konflikte liegen oftmals Jahre oder Jahrzehnte zurück. Bei Markus (Andreas Döhler), der mit seiner Frau Monika (Jessica Schwarz) und seinem vierjährigen Sohn Adam die Geburtstagsfeier des Vaters (Heiko Pinkowski) besucht, ist es eine scheinbare Nebensächlichkeit, die eine bis dahin totgeschwiegene Wahrheit ans Licht bringt. Als Adam zusammen mit seiner Oma (Katrin Pollitt) von der Toilette zurückkommt, wo er sich angeblich bei einem Stoß gegen die Heizung eine kleine Wunde am Kopf zugezogen hat, erinnert sich Markus zum ersten Mal an Vorfälle aus seiner Kindheit. Damals kam es regelmäßig zu sexuellen Übergriffen durch die Mutter. Aus Angst und aus Scham scheint er jeden Gedanken daran bis zu diesem besagten Moment auf der Geburtstagsfeier verdrängt gehabt zu haben.
 
Die schmerzhafte Vergangenheit bricht in „Die Hände meiner Mutter“ ohne jede Vorankündigung oder Vorwarnung auf. Gleich zu Beginn konfrontiert Regisseur und Autor Florian Eichinger nicht nur seine Hauptfigur sondern auch das Publikum mit der erschütternden Wahrheit dieser letztlich nur vorgetäuschten Vorzeigefamilie. Von einem Moment zum nächsten entzieht er Markus den Boden unter den Füßen. Dass die Feierlichkeiten dennoch zunächst mit lobenden Worten des Bruders auf Vater und Mutter weitergehen, sorgt für eine beklemmende, beinahe gespenstische Atmosphäre. Der Zuschauer wird zum Mitwisser und blickt in Markus’ leere Augen. Was folgt, sind Ekel, Trauer und Entsetzen.
 
Tatsächlich ist der sexuelle Missbrauch durch die eigene Mutter bis heute ein absolutes gesellschaftliches Tabuthema. Experten, die auf diesem Gebiet forschen, gehen davon aus, dass sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt an Kindern in 10 bis 20% aller Fälle von Frauen ausgehen. Insofern rüttelt „Die Hände meiner Mutter“ leider an einer erschreckend relevanten Realität. Filmisch lässt sich das, was Markus als Kind immer wieder zugestoßen ist, nur schwer umsetzen. Es bedarf Fingerspitzengefühl und eines Blickes, der weder verharmlost noch in Voyeurismus abgleitet. Eichinger lässt den erwachsenen Markus zurück in seine Kindheit reisen – eine durchaus mutige Idee. Wenn ein knapp 40-jähriger Mann im Kinderschlafanzug an einem für ihn viel zu kleinen Schreibtisch sitzt, dann löst dieses irritierende Bild zunächst eher Befremden und vielleicht sogar Komik aus. Man denke nur an die Groteske „Der Bunker“. Es ist vor allem Andreas Döhlers einfühlsamem und erfreulich undramatischem Spiel zu verdanken, dass die anfänglichen Irritationen über diese Art der Inszenierung schon bald in den Hintergrund rücken. Döhler wurde dafür vollkommen zu Recht beim Filmfest München mit dem Darstellerpreis bedacht.
 
Getragen von der herausragenden Leistung seines Hauptdarstellers bewegt sich Eichingers Film souverän über zumeist dünnes Eis. Seine Qualität ist es, nicht zu skandalisieren und die Dinge dennoch unmissverständlich beim Namen zu nennen. An die Stelle des Wegschauens, Verharmlosens und Relativierens treten eine klare Haltung und der Versuch einer ehrlichen Auseinandersetzung. Eichinger dürfte bewusst gewesen sein, dass sein Ausgangsszenario – die Familienfeier, die dortige Enthüllung des Missbrauchs, die Dekonstruktion eines nur behaupteten Familienidylls – Vergleiche mit Thomas Vinterbergs „Das Fest“ provoziert. Auch wenn „Die Hände meiner Mutter“ kein derart strenges formales Konzept verfolgt, so entwickelt er doch eine ganz ähnliche Intensität. Das Aufbrechen einer langen Spirale des Schweigens erfordert Kraft und Mut. Beides kann man dieser bemerkenswerten deutschen Produktion nicht absprechen.
 
Marcus Wessel