Die Wunde

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In seinem Kinodebüt „Die Wunde“ thematisiert der weiße Südafrikaner John Trengove gleich zwei Tabus seines Heimatlands: Das traditionelle Beschneidungsritual des Xhosa-Stamms und die in Südafrika nach wie vor stark tabuisierte Homosexualität. Das konzentriert erzählte, anthropologisch angehauchte Drama um konkurrierende Männlichkeitsbilder, (sexuelle) Identität und Traditionen erzeugt die Spannung auf schnörkellose Weise aus der konfliktreichen Figurenkonstellation heraus. Der Film feierte seine Weltpremiere beim Filmfestival von Sundance und eröffnete das Panorama der 67. Berlinale.

Webseite: die-wunde-film.de

OT: Inxeba
Südafrika, Deutschland, Niederlande, Frankreich 2017
Regie: John Trengove
Drehbuch: Malusi Bengu, Thando Mgqolozana, John Trengove; nach dem Roman von Thando Mgqolozana
Darsteller: Nakhane Touré, Bongile Mantsai, Niza Jay, Thobani Mseleni, Gamelihle Bovana, Halalisani Bradley Cebekhulu
Laufzeit: 88 Min.
Verleih: Edition Salzgeber
Kinostart: 14. September 2017

FILMKRITIK:

Vor vielen Jahren durchlebte Xolani (Nakhane Touré) das Männlichkeitsritual des südafrikanischen Xhosa-Stamms. Während der einwöchigen, schmerzhaften Wundheilung nach der Beschneidung sollen die initiierten Jünglinge zu echten Männern reifen. Inzwischen lebt der 30-jährige Xolani als Lagerarbeiter in Queenstown. Um den jungen Außenseiter Kwanda (Niza Jay Ncoyini) beim diesjährigen Ritual als Betreuer anzuleiten, kehrt er in seine ländliche Heimat zurück. Sein Onkel bittet Xolani, streng mit dem Jungen zu sein, und berichtet davon, dass sich Kwanda in letzter Zeit immer öfter mit Kumpels in seinem Zimmer einschließt...
 
Die Beschneidung wird in einer entlegenen Bergregion vorgenommen. Hier trifft Xolani alljährlich seinen Kindheitsfreund Vija (Bongile Mantsai) wieder, mit dem ihn eine geheime Liebe verbindet. In den folgenden Tagen reibt sich der Heimkehrer an seinen Gefühlen auf, denn die anderen Männer sollen auf keinen Fall von seiner Homosexualität erfahren. Parallel gerät sein Schützling Kwanda als einziges Stadtkind unter den Jugendlichen in eine Außenseiterposition. Der feinfühlige Junge merkt schnell, dass Xolani und Vija mehr füreinander empfinden als sie nach außen hin zeigen können. Als er seinen Mentor darauf anspricht, spitzt sich die spannungsreiche Lage zu.
 
Das Drehbuch schrieb John Trengove gemeinsam mit den Co-Autoren Thando Mgqolozana und Malusi Bengu, die eigene Erfahrungen mit dem archaischen Männlichkeitsritual gemacht haben (Mgqolozana verarbeitete die Erlebnisse bereits in seinem Romandebüt „A Man Who is not a Man“). Der genaue Blick auf Details, die Besetzung mit ansässigen Laiendarstellern und der Verzicht auf Filmmusik verleihen der Geschichte viel Authentizität. Wenn die Jugendlichen, die stets als „Initiierte“ angesprochen werden, mit traditioneller weißer Bemalung im Wald ausharren, Bäume fällen oder Ziegen erlegen entsteht ein dokumentarischer Anstrich.
 
Immer wieder blickt Kameramann Paul Özgür den Figuren über die Schulter und folgt ihnen durchs Unterholz. So stellt John Trengove auch filmisch heraus, dass „Die Wunde“ einer figurenzentrierten Dramaturgie folgt, bei der sich die Dramatik und der Handlungsfortgang aus den Interaktionen der Figuren heraus entwickeln. Im Mittelpunkt steht die Dreiecksbeziehung zwischen Xolani, Kwanda und Vija. Die unterdrückte Homosexualität der Protagonisten und die von machohaftem Gehabe durchzogene Gruppendynamik liefern den Nährboden für eine Auseinandersetzung mit dem Widerstreit zwischen Tradition und Moderne, gesellschaftlichen Verboten und individuellen Wünschen. Einblicke in den konkreten Ablauf eines Beschneidungsrituals sind selten, zumal den Beteiligten ein Schweigegelöbnis auferlegt wird. Auch deshalb ist der ästhetisch reif umgesetzte und thematisch mutige Debütfilm überaus interessant und sehenswert.
 
Christian Horn